Liebe Freundinnen, Freunde, herzlich Willkommen zum 162. Sonntagskind. Heute klingt noch der Nachhall eines bewegenden Konzerts in mir: vor ein paar Tagen hatte ich das Bremer Schnürschuh-Theater gemietet, um die Geheimshow „Weltuntergang mit Stil“ auf die Bühne zu bringen, ausschließlich vor geladenen Gästen. Um es mit allem Dank zu sagen: ohne Euch hätte ich dieses Programm nicht entwickelt, denn es speist sich aus der Erfahrung des wöchentlichen sonntagskindlichen Austausch.
Ist das wirklich ein Austausch? Ich schreibe, Ihr lest, hin und wieder postet jemand einen Kommentar, manchmal bekomme ich eine Mail, Austausch geht auch anders. Aber ich habe einen abenteuerlichen Gedanken zu einer Art Austausch, die vielleicht bald eine größere Rolle spielen kann:
Wir beginnen gerade eine technische und gesellschaftliche Revolution, deren Ausmaß die Phantasie von Science-Fiction-Autorinnen überfordert. Wie sehr der Einsatz künstlicher Intelligenz unser aller Leben verändern wird, steht in den Sternen – eine Sache lässt sich aber schon jetzt ganz irdisch feststellen: Überall dort, wo es darum geht, etwas genau so zu machen wie andere es zuvor getan haben, meldet sich die KI und sagt: „Kann ich besser. Und viel schneller.” Die Arbeit von Millionen Menschen wird überflüssig. Das betrifft fast alle Berufe, die auf Elektrizität angewiesen sind. Handwerksberufe werden goldenen Boden haben. Eine Ausbildung zum Schreinermeister ist ein Ticket in eine Zukunft als Millionär, Klempnerinnen verlegen Rohre in ein Leben in Saus und Braus.
Ein Blick auf die letzten 200 Jahre zeigt den Siegeszug des Verstands, die wissenschaftliche Erfassung sämtlicher messbarer Größen, eine Hochzeit des Realen, des Faktischen, in der wir Menschen gelernt haben, die Welt der Dinge zu beherrschen.
Nun geben wir diese Kontrolle an eine geniale Kopie unserer gesammelten mentalen Fähigkeiten ab. Was bleibt uns dann noch zu entwickeln, zu gestalten? Worum haben wir uns noch nicht gekümmert? Ich habe einen Verdacht: Zwar fliegen wir zum Mond, aber ein paar hundert Kilometer weit auf den Meeresgrund schaffen wir es nicht, wir haben keine Ahnung, was in den tiefsten Tiefen der Meere los ist. Da wird uns auch keine KI hinbringen, aber das alltägliche Pendant zur unergründlichen Meerestiefe ist vielleicht die zwischenmenschliche Magie: Wir alle kennen das unbeschreibliche Gefühl einer gelungenen Begegnung, diesen Zauber, wenn sich Seelen verbinden. Wir behelfen uns mit der Formulierung vom überspringenden Funken, oder wir sagen, dass einfach die Chemie stimmt. Wir benennen Ausstrahlung, Charisma, Sex-Appeal. Life-Coaches kommen nicht weit, wenn sie versuchen, eine gewinnende Erscheinung nur über Körperhaltung, Stimmfarbe und Augenleuchten zu trainieren. Wir wissen genau, wenn uns ein Stück Musik berührt, erklären können wir es nicht. Wir alle kennen das Phänomen, dass wir an etwas denken, was in dem Augenblick unser Gegenüber anspricht.
Für die einen sind diese übersinnlichen Wahrnehmungen eine willkommene Flucht aus der anstrengenden Welt, für andere schlicht Zufall. Dort mehr zu vermuten, gilt ihnen als Hokuspokus.
Wie aber wäre es, wenn wir anerkennen, dass unsere Gehirne noch andere Verbindungen aufnehmen als die über die bekannten Sinneswahrnehmungen? Was, wenn der 6. Sinn nicht nur eine sprichwörtliche, sondern bald auch eine wissenschaftliche Größe ist? Und wenn wir lernen, ihn zu schärfen und zu nutzen? In meiner Arbeit erlebe ich regelmäßig eine Verbindung mit Menschen, die ich nur magisch nennen kann. Wenn mir eine Schülerin das Schicksal ihrer Familiengeschichte erzählt und wir im gemeinsamen spontanen Musizieren genau die Musik finden, die sagt, wozu die Worte fehlen – und wir erkennen beide die heilende Qualität dieser Erfahrung. Wenn ich mit mir unbekannten Menschen beim gemeinsamen Singen in einen Zustand komme, den alle Beteiligten als „Flow“ bezeichnen, haben wir mit etwas mit dieser Kraft zu tun. Wenn wildfremde Menschen in meinem Konzert weinen, und wenn dieses Weinen meine Art zu spielen beeinflusst, funken wir auf einer Frequenz, die von keiner Redaktion moderiert wird.
Trotz der räumlichen Distanz zu Euch, die dies hier gerade lesen, und trotz des Zeitversatzes erlebe ich eine Verbindung, für die ich (noch) keine Worte habe. Eine Beziehung, die auf einer höheren Ebene schwingt als der von Weltanschauung und Gesinnung. Auf dem Kanal, auf dem wir Menschen einander verstehen können, obwohl wir anderer Meinung sind. Hier will ich Austausch pflegen, schärfen, fördern. Veilleicht ist das eine gute Idee für die Zukunft, was meint Ihr?
Herzlich
Euer Mark
Vielleicht empfinde ich übersinnlich. Der konkrete Fluss von Währungskräften beeindruckt mich aber immer wieder. Hast Du Lust, Sonntagskind zu unterstützen?
P.S. Seit ein paar Wochen ist mein Kurzfilm über die 25. Melodie des Lebens online. In der Arbeit mit Jugendlichen findet immer wieder Magie statt, man kann es hören:
Lieber Mark,
erneut ist es dir heute gelungen, mit deinem Sonntagskind ein Lächeln auf meine Seele zu zaubern und Wärme in meine sich hinein trotz Sonne sich gerade kalt anfühlende Welt zu bringen - dafür danke ich dir von ganzem Herzen! Und da du von Zufall schreibst, fällt mir der wunderbare Satz von Viktor Frankl ein: Zufall ist der Ort, an dem das Wunder nistet.
Wunderbar, dass es dich und dein Sonntagskind gibt!
Regine
So schön ❤️