Es ist die reine Eitelkeit, die mich in die Laufschuhe treibt: ich will meinen Körper nicht der Verteigung überlassen. Wenn es nach ihm ginge, zöge sich die Brust über der ins Gewaltige wachsenden Bauchkugel zurück, an den schmal hängenden Schultern baumelten unbewegliche Fettärmchen, der ganze Oberkörper stapelte sich krumm auf kraftlosen Beinen, auf denen ein breitgesessener, platter Komponistenhintern vor sich hinschwabbelte. Kurz: Ich muss diesen Körper aufhalten, sonst lässt er mich irgendwann aussehen wie Homer Simpson.
Es ist schrecklich, den Kürzeren zu ziehen, wenn man sich mit den Superschönen und Gephotoshoppten vergleicht. Sich selbst in seinem Körper zu akzeptieren, scheint mir daher eine gute Idee zu sein, um ein miserables Selbstgefühl zu vermeiden.
Deswegen ist das Ziel der Body-Positivity-Bewegung, unrealistische Schönheitsideale zu entkräften. Unrealistisch ist zum Beispiel, der Comicfigur Shrek zu ähneln und wie Ken (der Freund von Barbie) aussehen zu wollen.
Andererseits kann es guttun, an seinem Körper etwas zu verändern. Täglich Situps, Planks und Burpees – und nach einiger Zeit werden aus teigigen Polstern und hängendem Gewebe straffe Partien. Alles ist besser durchblutet, auch die Seele freut sich, man hat schließlich was geschafft.
Der Autor im Hotel Bristol in Wien beim Komponieren einer sehr traurigen Melodie.
Wäre es nicht eine tragische Kapitulation, einen Homer-Simpson-Body hinzunehmen? Dann formte nicht der Wille die Hüfte, sondern das Sofa. Der Geist hätte Sendepause. Durch Body-Positivity zum Schweigen überredet. Er zöge sich schmollend zwischen den Ohren zurück und stellte seine Dienste fortan in die Erfüllung der durch Werbung ausgelösten Onlinekaufwünsche. Durch ausbleibende Stimulation und dauerhafte Veränderungsunlust verwandelte sich der angeborene Gestaltungstrieb in eine beleidigte Gelassenheit. Diese Entwicklung teilte ich mit vielen anderen.
Während in den Medien über die zunehmende Antriebslosigkeit und allgemeine Niedergeschlagenheit berichtet würde, formierten engagierte Aktivist*innen die Gesinnungsgruppe „Mondays bis Fridays for Frust, auch am Wochenende“. Aus ihr spaltete sich während einer gelangweilten Achselzuckperformance die Mind-Positivity-Bewegung ab: sie verurteilte das immer noch weit verbreitete Mindshaming. Chronische schlechte Laune und Unzufriedenheit sollen nicht mehr negativ konnotiert sein. Personen mit hängenden Mundwinkeln sollen nicht von Bessergelaunten stigmatisiert werden. Eine Körperhaltung, die verrät, dass das Leben als Zumutung empfunden wird, setzte sich durch. Den Freudlosen soll der gleiche Platz in der Gesellschaft eingeräumt werden wie denen, die mit einem sonnigen Gemüt beschenkt sind.
„Miesepeter“ sagte man nicht mehr, das M-Wort wäre tabu. Es gäbe immer mehr Diskotheken, in denen Tanzen unerwünscht ist. Man säße dort an der Bar, alleine. Müsste man sich doch bewegen, schlurfte man mit verschränkten Armen und beobachtete dabei den Fußboden.
Die Farben der Deutschlandfahne würden den neuen gesellschaftlichen Erkenntnissen angepasst: Schwarz-Dunkelgrau-Hellgrau. Im Radioprogramm schlüge die Stunde des Problemschlagers und des Nörgelpops. Klagerap und Opferfolk dominierten die Streamingcharts, es gäbe eine Mollquote.
Der Cocktail „No Sex on the beach oder sonstwo“ würde 2035 Getränk des Jahres. Der Buckel käme in der Mitte der Gesellschaft an. Die Frage „Wie geht’s?“ würde immer häufiger als Belästigung aufgefasst, Lächeln gälte unter bestimmten Umständen als sexualisierte Freude.
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