Das Zeitalter der Musik ist over. Die Bedeutung von Komponisten und Songwritern: Vorbei. Es gibt schon genug Musik, die sich von egal wem so zusammenbauen lässt, dass sie für jede erbärmliche Lebenssituation den passenden Hintergrundsoundtrack liefert. Die Spotify-CEOs und andere seelenkleine Musikverwerter wollen es so:
KI-gesteuerte Personalisierung. Du magst alte Schlager aus den 1950ern, aber gern mit einem freshen Beat? Zack – wummert unter dem Jahrhundertgesang von Caterina Valente eine Allerweltsbassdrum, und Peter Alexander freut sich, dass er nicht mehr miterleben muss, wie seine Stimme durch Autotune gejagt wird.
Das finden wir als gebildete Minderheit natürlich schlimm. Es ist Vergewaltigung, Entstellung, Schändung. Untergang des Abendlandes, diesmal wirklich: „Bau mir eine Kuschelrockplaylist auf der Grundlage von Karl-Heinz Stockhausens Oper ‚Montag aus Licht‘!“ Win-Win-Situation für alle Beteiligten: Die Komponistenerben freuen sich, dass der dissonante Ladenhüter Tantiemen abwirft, der Schonkosthörer kriegt umsonst das Gefühl, auch ein bisschen zur Kulturelite zu gehören.
Ich zum Beispiel würde gerne mehr Heavy Metal hören, nur ohne diese nervigen Gitarren und das übertriebene Schlagzeug. Kein Problem für die KI. Oder Bob Dylan, er hat ja angeblich so tolle Texte geschrieben. Wenn er nur nicht diesen vorwurfsvollen Nörgelton in seiner Stimme hätte. Wie klingt „Blowin’ in the Wind“, wenn Lana del Rey es singt? Das weiß die KI in einer Sekunde. „Hey Spotify-Siri-Alexa, zum Aufstehen höre ich gern diese tollen Melodien aus den Harry Potter-Filmen, aber mit uplifting Gute-Laune-Texten in schwäbischer Mundart, von Santiano gesungen mit Beats von David Guetta und so einer leicht swiftigen Freshness. Darf aber nicht nach Lady Gaga klingen, eher ein bisschen wie eine Mischung aus Prince und Heino, du verstehst. Mach es so, dass es real klingt.”

Es braucht keine Arrangeure, die wochenlang Noten schreiben, keine unzuverlässigen Musiker in einem überteuerten Tonstudio mit einem verkoksten Produzenten. Die können sich jetzt alle um Wichtigeres kümmern.
Das gilt ja auch für mich: Die 27 wöchentlichen Hörer meiner Musik auf Spotify sind alles Verwandte. Ich denke, dass sie sich ein bisschen verpflichtet fühlen, wenigstens einen Alibisong von mir in ihren Playlisten zu haben.
Zum Glück hatte ich in den letzten Jahren ein goldenes Händchen an der Börse. Ich gab Geld, das ich nicht schnell genug ausgeben konnte, für Bitcoin und ein paar KI-Aktien aus – und bekam ein Vielfaches zurück. Monate, in denen ich ansonsten den Bürgergeldantrag hätte ausfüllen können, ließen sich damit finanziell recht üppig ausstatten.
Ich sah mich schon in meinem 200-Quadratmeter-Apartment im 99. Stock eines Skyscrapers an der Wall Street darüber sinnieren, welche Karibik-Insel ich mir demnächst kaufe.
Dann erklärte mir ein Freund, dass mein Erfolg der reine Zufall war und ich mich besser schlau machen sollte, bevor mein nächstes Investment ein Total-Knock-Out wird. Er kennt sich aus. Als er neulich vor fünf Bildschirmen saß, auf denen geheimnisvolle Kurven und Tabellen blinkten, fragte ich ihn, was er da macht. „Mit Junk-Bonds den Flash-Crash hedgen”, meinte er.
Ich buchte also eine Online-Ausbildung bei einem anerkannten Tradingpapst. In überfordernden Videoworkshops lerne ich von sehr schnell sprechenden Finanzexperten die Grundlagen des Börsenspiels – eine völlig neue Welt für mich: ich habe mit Männern zu tun, die hellblaue Hemden mit abgesetztem weißem Kragen tragen, sogenannte Winchesterhemden. Das scheint die internationale Profitgarderobe wohlhabender Armbanduhrenmänner zu sein. Herren, die auf die Frage „Wo willst du am liebsten leben?“ nicht von Wien schwärmen oder „Venedig“ hauchen, sondern „Keine Frage“, rufen, „Dubai!“
Sie bringen mir bei, dass Banknoten auch Noten sind und dass so ein Aktienchart die reine Musik sein kann. Ich investiere jetzt erstmal ganz vorsichtig weiter. Wenn ich mit brutalen Put-Optionen auf fallende Kurse von Abendlandaktien das Milliardenlimmit breake, cashe ich ab, kaufe 51% von Spotify und verhindere den ganzen KI-Mist. Als Hauptaktionär zwinge ich die Chefetage, den entgangenen Renditen in einem weinerlichen Nörgelchor nachzutrauern, den ich extra für sie komponiert habe. In zu eng sitzenden Winchesterhemden dürfen sie anschließend „Blowin’ in the wind” singen. Zum Feierabend kriegen sie dann noch zwei Stunden Stockhausen auf die Ohren.
Wer mich bei meinem kulturellen Weltrettungsprogramm unterstützen will, macht mit beim Trading Club und stellt mir sein Schwarzgeld zur Verfügung:
Neu erfundene Wörter im 184. Sonntagskind: seelenklein, Allerweltsbassdrum, Schonkosthörer, swiftig, Tradingpapst, Profitgarderobe, Armbanduhrenmann, Abendlandaktien
Wenn eines Tages keiner mehr weiß, was man der KI prompten soll, um Musik zu erhalten, wird es schlichtweg stumm werden. Ich lehne mich mal aus dem Fenster und behaupte, dass echte Musiker auch in ferner Zukunft garantiert nicht zu ersetzen sind ;o)
Du hast ja so Recht.., die schlimme Entwicklung der letzten 25 Jahre hat uns völlig überrollt....es gibt da so ein Buch "How music got free.." oä..das unseren Irrweg fundamental beschreibt..ohne es völlig zu begreifen....