„Sei wie ein Pegasus. Stark wie ein Pferd, frei wie ein Vogel“, sagt meine Therapeutin. Gute Idee, denke ich sofort und finde mich vor dem Schaufenster eines Kostümverleihers wieder. Die Flügel sind allesamt zu klein. Auch das mit dem Pferd muss ich anders regeln. Der Grund meiner häufigen Besuche bei der Expertin für Unbewusstes: ich will meine Zurückhaltung1 überwinden und eine bremsende innere Stimme in den Gesang der Befreiung verwandeln.
Wartburg statt Aston Martin
Wenn ich ganz viel zu tun habe, wenn die schon mehrmals verlängerten Abgabefristen mir die Luft zum Atmen nehmen, die Noten für die morgige Probe mit den Streichern noch nicht geschrieben sind und das Finanzamt mahnt, lege ich mich aufs Sofa und beginne eine Serie. Diesesmal war es „Kleo“ auf Netflix. Kleo Straub, gespielt von „Fuck-Ju-Göthe“-Star Jella Haase, ist eine Stasikillerin in den letzten Jahren der DDR. Zu ihren Aufträgen gehört die virtuose Liquidierung feindlicher Elemente. Durch Vergiftung, Explosion, Erschießung, etc. Genau wie James Bond eigentlich, nur eben nicht an Côte-d'Azur-Stränden und in Ballsälen, sondern in zonigen Schrebergärten, Ost-Altbauten und Sowjetpalästen. Kleo flitzt auch nicht mit dem Aston Martin vor Bösewichten davon, sondern tuckert im Wartburg über feindliches Kopfsteinpflaster. Trotzdem sind die Ausschaltungen von Fieslingen allesamt von britischer Eleganz.
Eine Stasi-Intrige bringt Kleo in den Knast, der Mauerfall gibt sie nach knapp drei Jahren wieder her, dann beginnt ihre Abenteuerreise: der selbsterteilte Auftrag, die Drahtzieher ihrer Inhaftierung zu finden. Zu ihrem hartnäckigsten Gegenspieler wird der westdeutsche Polizist Sven aus dem Betrugsdezernat. Der fühlt sich von seinen beruflichen Aufgaben unterfordert und strebt nach Höherem: 1987 hat der angetrunkene Beamte Kleo in einer West-Berliner Disko angeflirtet und blitzte ab. Ihm fiel das Rasiermesser auf, dass sie im Strumpfband trug. Er beobachtete, wie sie mit lasziven 80er-Jahre-Tanzmoves einen Mann auf die Tanzfläche lockte und mit ihm auf dem Damenklo verschwand. Kurz darauf lag der tot auf den Fliesen, Kleo war verschwunden.
Psychedelische Frisuren
Sven glaubte die offizielle Begründung mit der Überdosis Kokain nicht, erzählte den Ermittlern von der geheimnisvollen Frau und ihrer Killerinnen-Aura. Damit machte er sich unter seinen Kollegen zum Vollhorst, die ihn einfach nur für einen Spinner halten, der gern zuviel trinkt. Er aber lässt sich nicht beirren und befördert sich selbst zum Superdetektiv. Er kommt Kleo tatsächlich in die Quere und wird beinah von ihr umgebracht, dann machen die beiden gemeinsame Sache. Ein blondierter Techno-Drogi wird von einem Ufo nach Hause geholt und nicht nur Margot Honeckers Auberginefrisur wirkt in diesem Kunstdrama psychedelisch.
Obwohl sich die acht Folgen Kleo wie ein irrer Flugtrip angefühlt haben, sind mir beim Liegen auf der Couch keine Flügel aus den Schulterblättern gewachsen. Dafür muss ich jetzt schuften wie ein Pferd, um die Streichernoten fertig zu kriegen. Ich bin mir nicht sicher, ob meine Therapeutin mit mir zufrieden sein wird. Vielleicht geh ich doch nochmal zu dem Kostümverleih.
Kraftvoll wie ein Pferd und frei wie ein Vogel, der Pegasus. Photo: Wikimedia Commons
Was „Zurückhaltung“ in meinem Leben für einen Ärger hervorbringen kann, habe ich in meiner Hotelkolumne „Übers Scheitern“ beschrieben. Ich hätte nämlich einmal fast mit Milva getanzt.