Heute gibt es jede Menge Geschrei wegen Genderns. Von heiligem Ernst getragene Feministen sehen sich Sprachtraditionalistinnen ohne Humor gegenüber. Das Thema geht uns mittlerweile alle an. Es gibt keinen Zweifel, dass Frauen in unserem Sprachgebrauch benachteiligt werden, kurze Erinnerung an Artikel 3 unseres Grundgesetzes:
„Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“
Dass wir bei der Chefarztvisite einen Herrn erwarten, ist wahrscheinlich eine Folge des generischen Maskulinums. Wir sprechen von „den Ärzten“, die Ärztinnen dürfen sich großzügigerweise mitgemeint fühlen. Das generische Maskulinum wäre ja in Ordnung, wenn es nicht zufällig mit dem spezifischem Maskulinum identisch wäre. Das kann man diskriminierend nennen.
Hier ist ein Vorschlag, im Sinne des Grundgesetzes: Wir lassen die Chefarztvisite in Ruhe. Frau Doktor bleibt eine Ärztin. Dem männlichen Arzt aber hängen wir die männliche Endsilbe -er an: er wird ein Arzter. Genauso machen wir es mit dem Herrn Lehrer, der ein Lehrerer wird. Klärt die Kriminalpolizei ein Kapitalverbrechen auf, sucht sie wie gehabt den Mörder. Erst, wenn wir wissen, dass es der Gärtner, genauer: der Gärtnerer war, haben wir den Mörder. Es ist in diesem Fall (wie meistens) ein Mörderer.
Meinem persönlichen Sprachgefühl passt diese kleine Veränderung besser als das -innen-Anhängsel. Es ist auch genauer als die Verwandlung von Köchinnen und Köchen in Kochende. Bei Studierenden und Dozierenden finde ich es besonders grotesk: Jemand dozierenden stelle ich mir immer zeternd vor wie einen wütenden Donald Duck.
Sieht so ein Dozierender aus? In der Reflexion des Bildschirms: der Autor in einem ganz schlichten Morgenmantel von Versace (unisex).
Der Wunsch, die Gesellschaft durch Manipulation der Sprache zu verändern, führt zu einer Menge neuer Ideen. Sogar neue Berufe gibt es. Die ZEIT widmete dem Beruf des Sensitivity Reader kürzlich eine Doppelseite. Sensitivity-Reader untersuchen Texte auf diskriminierende Sprache. In dem Artikel hat z. B. das Wort „man“ wenig Chancen, am Sprachwachtposten ungeschoren vorbeizukommen. Auch empfiehlt die Sensitivity-Readerin Journalisten, die über bestimmte Personen schreiben, diese vorher zu fragen, wie sie gerne genannt und beschrieben werden wollen. Das würde mir auch gefallen! Vor meinem nächsten Interview lasse ich die Redaktion wissen: „Ich möchte, dass Sie mich als legitimen Nachfolger des Komponistengenies Gustav Mahler sehen und meine beeindruckende sexuelle Ausstrahlung bei zugleich nopelpreisverdächtigem Geist bemerken, ohne mich als größenwahnsinnigen eitlen Gockel zu entlarven und mich damit zu diskriminieren.“
Als ich zwölf Jahre alt war, wollte ich mein Leben ändern. Mir fiel ein Buch über die Symbolik von Handschriften in die Hände, meine Großmutter war Graphologin. Ich sah mir die einzelnen Schriftmerkmale genau an. Besonders diejenigen, die ausdrückten, wie ich gerne sein wollte. Ein langer T-Strich für Durchsetzungsfähigkeit aus den Handschriften von Unternehmenschefs und Gangsterbossen. Eine voluminöse G-Schleife für die erotische Ausdrucksfähigkeit von vor Sinnlichkeit glühenden Filmstars. Die auslaufenden Wortenden von kreativen Genies habe ich mir auch gleich angeeignet. So baute ich mir das Schriftbild des Wunschmenschen zusammen, der ich sein wollte.
Im Vergleich zu dieser Handschrift lassen sich die Hieroglyphen auf der Kaffeetasse im anderen Bild auch von fachunkundigen Chefärzten dechiffrieren.
Im Lauf der Jahre hat sich meine Handschrift verselbstständigt und wurde infolge meines mutwilligen Gestaltungseingriffs die expressive Sauklaue von heute. Sie ist so unleserlich, dass ihr Inhaber nur genial sein kann. Ob mich die große G-Schleife zu einem virtuosen Liebhaber gemacht hat, traue ich mich nicht zu beantworten. Ob ich im Leben immer kriege, was ich will, seit ich begonnen habe, T-Striche von DIN A4-Breite zu zeichnen, ist eine Frage, die ich meinem Therapeuter stellen muss.
P.S.: Die Welt selbstveröffentlichter Frühstücksliteratur ist ein gnadenloses Haifischbecken. Als hypersensibler Krebs kann ich hier nur mit Gefolgschaft punkten. Wenn dir diese Kolumne ein Herz wert ist, freue ich mich. Sie macht diesen Text für andere sichtbar. Danke!
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