Wir alle kennen jemanden, der plötzlich befördert wurde oder anders an Macht und Einfluss gewann und dann charakterlich verwahrloste, oder?
So ist das mit Shakespeares Macbeth. Macbeth kommt mit seinem Freund Banquo aus einer gewonnenen Schlacht heim. Auf dem Weg nach Hause begegnet er orakelnden Hexen. Die wollen seine Zukunft kennen und prophezeien Macbeth, dass er König wird. Sein Kumpel Banquo werde Königsvater, wissen sie. Die beiden ziehen gut gelaunt weiter – mit rosigen Aussichten! Zuhause klärt Macbeth seine Gattin über ihr künftiges Glamourleben als First Lady auf. Lady Macbeth versteht – und identifiziert sich augenblicklich mit der Rolle der gnadenlosen Tyrannengattin. Klug wie sie ist, empfiehlt sie, den aktuellen Noch-König zu töten. Rein prophylaktisch, damit es die Vorsehung leichter hat. Kollege Banquo als Vater des späteren Thronfolgers soll mitsamt dem Sohn am besten auch gleich weg.
Mit Anfang 30 konnte ich die ARD-Anstalt Radio Bremen überreden, mich fürs Fernsehen jede Woche einen Song schreiben und einen kleinen Film dazu drehen zu lassen. Der wurde dann am Samstagabend gesendet. Man gab mir tolle Möglichkeiten, ich hatte Zugriff auf die besten Kameraleute und zog eine Menge Neid innerhalb der hart arbeitenden Redaktion auf mich. Mit dem Flugzeug bewegte ich mich zwischen Berlin und Bremen hin und her, als man am Flughafen Tempelhof noch in eine Propellermaschine steigen konnte. Ich fühlte mich wie Andrew Lloyd Webber und Francis Ford Coppola in einer Person.
Radio Bremen gab mir für meine Filmkunstwerke die Profi-Schnittplätze. Nicht diese Werkbänke, auf denen Nachrichtenbeiträge zusammengestückelt wurden – nein, die Luxuslabore, in denen man zum Beispiel den „Tatort“ montierte. Außerdem standen mir die Türen der Werkstätten mit ihrem kompetenten Personal offen. Die kunstbegabten Handwerker hatten wenig zu tun, weil Radio Bremen schon damals nicht mehr viel produzierte. Man hatte Zeit und ich konnte mir jede Woche die irrsten Kulissen wünschen. Mal zimmerten mir diese genialen Ausstatter eine Arztpraxis, in der ich mit blutbeschmierten Kittel über tödliche Soziophobie referieren konnte, mal eine Showtreppe mit riesiger Discokugel, nur um an einem 29. Februar mit einem debil-flauschigen Partysong die Zahl „29“ zu zelebrieren. Auch ein spießig eingerichtetes Wohnzimmer, in dem ein verklemmter Gemeinschaftskundelehrer beim Telephonieren mit seiner Mutti in einem Pornoheft blättert, wurde für mich gebaut.
Ich nahm das alles für selbstverständlich. Schließlich fand ich, dass mir diese ungeheuren Selbstverwirklichungsprivilegien zustehen, angesichts meiner königlichen künstlerischen Potenz.
Ich hatte zuvor einige Zeit als Korrepetitor am Berliner Ensemble verbracht. Im damaligen Fürstentum unter Claus Peymann lernte ich, die Glaubenssätze des autoritären Regiemonarchen zu verinnerlichen. „In der Kunst gilt das Recht des Besseren!“ war eines der Bonmots des modernen Herrschers. Es war folgerichtig, dass mich viele bei Radio Bremen für ein arrogantes Arschloch hielten. Da war ich wohl auch ein Macbeth – wurde aber rausgeschmissen, bevor ich jemanden niedermachen konnte.
Solche Möglichkeiten wie damals bei Radio Bremen bekam ich bisher nie mehr wieder. Stattdessen habe ich meinen Status als ignorierter Künstler von Weltrang angenommen. Meine Grundbeleidigtheit überspiele ich mit offensiver Freundlichkeit und perfekt zur Schau gestelltem In-sich-ruhen. Nur der weiße Cashmere-Schal zeugt noch von der ramponierten Künstlerseele.
Eine Großtat der Werkstätten ist die Bühnenausstattung dieser unfassbaren Showdeko im legendären Studio III von Radio Bremen. Mit Lichtelementen und einer Showtreppe aus Rudi Carrells „Am laufenden Band” und der Original-Discokugel aus dem „Musikladen”.
Auch sehr schön und leider von den Geschichtsbuchverlagen ignoriert: der Beweis, dass Karneval seine Wurzeln in der Hansestadt Bremen hat:
Danke fürs Lesen des 168. Sonntagskind, verehrte Konsumentin, lieber Leser. Frei wie das Funkeln im Blick der Liebenden, unbezahlbar wie das Gefühl des Einsseins mit der Natur im Angesicht des Meeressturms, zuverlässig wie der Glockenschlag der Kirchenuhr – so soll Sonntagskind sein, für immer. Dass mir hin und wieder jemand bei aller Unbezahlbarkeit trotzdem einen Schein über PayPal zusteckt, soll diese brillant ausgecheckte Markenphilosophie nicht irritieren!
An meine Sonntagskindgemeinschaft in Bremen: Am Montag, dem 9. Dezember lese ich das erste Mal öffentlich aus meinen Sonntagskindkolumnen. Mit Rollkragenpullover und einem Glas stillem Wasser am Pult. Ab 19 Uhr in der Villa Sponte am Osterdeich.