Das Telegramm wurde am 1. Januar 2023 abgeschafft. Wer seiner Botschaft einen großen Auftritt spendieren will, muss sich jetzt was Neues überlegen. Vorbei die Zeit, als man sich mit einem überraschenden Fernschreiben einen Wettbewerbsvorteil als Liebender verschaffen konnte.
Amouröse Verschriftlichungen brauchen aber die Zelebration. In der profanen Beleuchtung des Handydisplays verblassen innige Zeilen. Wenn das Telegramm unter den Nachrichten der Champagner in der Opernloge war, ist der Whatsappchat der abgestandene Filterkaffee im Großraumbüro.
Marlene Dietrich empfängt ein Telegramm, im Film „Angel“ (1937) Photo: Youtube
Die Entscheidung der Deutschen Post, das Telegramm nach 170 Jahren einzustellen, hinterlässt eine Wunde im Kommunikationskörper dringender Botschaften. Niemand klingelt mehr an deiner Tür und kündigt ein Telegramm an. (siehe Bild) Die Post hat kapituliert: der Tod des Telegramms ist der Suizid des amtlichen Liebesbrief-Express. Vielleicht war der Telegrammbote der einzige Beamte, der seine behördliche Dringlichkeit in den Dienst des Herzklopfens gestellt hat. Jetzt ist er arbeitslos.
Das Telegramm ist die Erfindung eines Mannes mit gebrochenem Herzen: Samuel Morse war ein Künstler. Seine Bilder aber wollte niemand haben. Aus Verzweiflung erfand der Amerikaner den Telegraphen und den nach ihm benannten Code.
In einer Zeit, als das Pistolenduell noch ein gewöhnlicher Ritus bei machtpolitischen Differenzen war, tickerten die ersten Fernschreiber Botschaften von A nach B, die keinen Aufschub duldeten. Die Pioniere der Fernkommunikation dachten natürlich eher an die Börse und die Politik – und doch schufen sie einen channel of love.
Ein Telegramm war nie ausschweifend. Dadurch, dass pro Buchstabe abgerechnet wurde, entwickelte sich der sogenannte Telegrammstil, dem alles zum Opfer fiel, was der Botschaft nicht diente. Dadurch ergab sich der kleinstmögliche Laberfaktor. Die Schwafelquote im Telegramm war gleich Null. Eine Ausnahme ist das berühmte Telegramm von Hermann Göring, der in den letzten Kriegstagen Adolf Hitler die Regierungsgeschäfte abnehmen wollte – stilistisch keine gute Vorlage, um Verehrung und Begehren auf den Punkt zu bringen.
Ungewöhnlich auschweifendes Telegramm
Photo: Wikimedia Commons
In seiner Reduktion war das Telegramm der Gegenentwurf zum Smalltalk. Was können Verliebte denn heute noch machen, um ihre sehnsuchtsgeladenen Worte glamourös zu überbringen? Hier ein paar Ideen:
Den Lieferandoboten überreden, das Gedicht mit dem Liebesschwur im Pizzakäse zu drapieren.
Gereimte Anzüglichkeiten von der Konditorei auf eine Marzipantorte schreiben lassen.
Einen Steinmetz beauftragen, einen frechen Emoji in eine Marmorplatte zu schlagen. Das Objekt kann dann von einer Spedition gebracht werden.
Ein Flugzeug mieten, dass ein Banner mit personalisierter Annäherungsabsicht durch den Himmel zieht. Ein Disput über unangemessenen Umgang mit dem Klimawandel kann der Romanze allerdings in die Quere kommen.
Die Tätowierung ist noch immer ein legitimes Mittel, um zu zeigen, dass man es ernst meint. Leider fehlt ihr ein bisschen die Leichtigkeit. Wer es sich leisten kann, lässt den Boten tätowieren. (Geschäftsidee für ein kostspieliges neues Gewerbe)
Damit der Standardbrief aber nicht das nächste Produkt ist, von dem sich die Post aus wirtschaftlichen Gründen verabschiedet, sollten wir alle einfach mehr Liebesbriefe schreiben. Der Liebesbrief ist das mit Herzensblut gedopte Quellwasser unter den Botschaften.
Verehrte Lesende,
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Sollte die Post ihre Entscheidung irgendwann rückgängig machen, biete ich die Lieferung von SONNTAGSKIND per Telegramm an. (Nur für Snobs)
Tolle Kolumne! Wirklich schade, dass es für Sonntagskind kein Telegramm gibt. Aber es ist immer so gut, dass ich es mir natürlich auch tätowieren lassen würde🔥♥️