Verehrte liebe Freundinnen und Freunde,
vor ein paar Jahren habe ich mit Joggen angefangen. Der Grund war profan: Verhinderung von Teigigkeit. In den ersten Tagen träumte ich schon nach ein paar Hundert Metern von einem Sauerstoffzelt und konnte mich auswringen vor todesnaher Erschöpfung. Heute fühle ich mich wie eine kenianische Gazelle, wenn ich mit meiner 30 Jahre alten Adidashose den Bremer Bürgerpark umlaufe, wie ein eingecremter Blitz.
Gestern war ich übermütig und lief 15 Kilometer, ich muss damit jetzt mal angeben hier. Das Tolle beim Laufen ist für mich aber nicht nur der medaillenheischende Egoboost, sondern vor Allem diese psychedelische Gedankenklarheit. Unten fliegen die Beine über den Sand, oben ist eine Party im Gehirn, als spielten Einstein und Hegel mit Nietzsche und Micky Maus Simultan-Schnickschnackschnuck.1
Während mir bei meinem Dauerlauf eine Achterbahn durch die Synapsen raste, war mir plötzlich alles klar: die Welt wird doch nicht zugrunde gehen. Der Russe wird Europa nicht vernichten, muslimischer Terror und israelischer Militärhorror die Welt nicht in Schutt und Asche legen. Wir werden nicht ertrinken, verdursten oder im Plastikmüll versinken. Der amerikanische Solarium-Psycho wird nichts ausrichten können und die allmächtige KI wird nicht die Menschheit auslöschen. Stattdessen beginnt eine neue Zeit! Machen wir das Beste draus – viel Freude mit der 134. Sonntagskindkolumne, los geht’s:
Die gegenwärtige Dominanz egomanischer Platzhirschen ist das letzte Aufbäumen einer aussterbenden Art: Figuren einer untergehenden Epoche lassen es zum Schluss nochmal so richtig krachen. Am Zukunftshorizont blinken Vernunft und Güte auf. Herrschaft ist ein Auslaufmodell.
Society-S/M
Viele Leute sind gesellschaftlich gerade noch auf der sadomasochistischen Achse unterwegs: Regierungsfetisch, Nationalbondage, Bürokratiespanking, Gesinnungsbukkake, alles dabei. Auch die perverse Lust an verbalen Ausscheidungen wächst. Der Facebook-Konzern Meta macht Milliarden mit geistigen Exkrementen. Was für eine Energietransformation!
Auf meiner Lieblingsplattform lese ich, wie eigentlich die NATO den Krieg in der Ukraine führt und dass wir alle auf die Legende vom bösen Iwan reinfallen, wenn wir glauben, dass der eigentlich friedliche Putin irgendetwas damit zu tun hat. Junge Männer mit lackierten Nägeln lesen im Massaker der Hamas einen Schrei nach Liebe. Da geht gehörig was durcheinander – aber überall wünscht man sich, dass das Böse nicht wirklich böse ist – das ist doch eine Riesenchance!
Das große Finale der Bekloppten
Ich möchte gerne glauben, dass wir gerade das große Finale der Bekloppten erleben. Dass wir uns kurz vor dem Schlussakkord einer 200-jährigen Symphonie befinden. Die Moderne geht zuende. Danach wird es sexy: alle machen, was sie wollen und nehmen dabei aufeinander Rücksicht.
Die Evolution macht einen Satz und lässt aus unseren Ellenbogen Flügel wachsen. Angst verwandelt sich in Neugier und Einsamkeit in Lust. Meinungen spielen nicht mehr so eine große Rolle, jeder hat halt eine.
Der Pöbel verzieht sich in den digitalen Raum
Die meisten Leute gehen uns nicht mehr auf die Nerven, weil sie von der Straße weg sind. Sie sitzen in ihren Ganzkörpersexanzügen in heruntergekommenen Ex-Neubauten und vernachlässigen ihre äußere Erscheinung im virtuellen Raum. Das ist aber auch in Ordnung, wir schätzen sie nicht gering und nennen sie deswegen nicht „Unterschicht“. In losen Zeiten sind wir vielleicht selbst so. Manche Leute haben einen Haufen Geld gemacht mit Bitcoin – einfach, weil sie sich der verträumten Menge derer angeschlossen hat, die mit religiöser Entschlossenheit glaubten, dass diese vollkommen unrealen Blockchaineinträge wertvoll sind. (Ich gehöre auch zu ihnen.)2
Brot und Spiele für Freiwillige
Im Cyberspace finden viele Menschen das Leben, dass sie in der sogenannten Realität nicht hinbekommen. Wer nicht mitmachen will in der Gesellschaft, baut sich einfach seine eigene virtuelle Scheinwelt. Alkohol und Drogen treten in den Hintergrund, Besoffensein ist out of date.
Das ist die Zukunft, Leute! Ob Lauterbach und Co. jetzt ein paar Gramm Gras erlauben oder nicht, ist vollkommen egal. Die folgenden allgemeingültigen Lehrsätze werden ersetzt:
👎 Es geht nicht immer nach dem Lustprinzip
👆Es geht immer nach dem Lustprinzip
👎 Ohne Fleiß kein Preis
👆Du musst gar nichts
👎 Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr
👆Du kannst alles schaffen. Immer
👎 Schuster, bleib bei deinen Leisten
👆Öfter mal was Neues!
Immer weniger Menschen wollen glauben, was Religionswichtigtuer verkünden. Päpste, Imame, Rabbiner: sie alle werden ausgelacht. Erst wenn sie aufhören, Gehorsam und Unterwerfung zu predigen, dürfen sie wieder auftreten. Ihre tollen Kostüme werden allerdings überall geschätzt. Man tritt wieder in die Kirchen ein, um die Gebäude zu pflegen und die Orgeln in Stand zu halten.
Auch im Postrausch meiner Erleuchtung auf Turnschuhen erscheint mir das alles höchst plausibel. Jetzt ist nur noch die Frage, welchen Namen die neue Zeit bekommt. Nehmen wir den Historikern die Arbeit ab und stimmen ab:
Ich bin gespannt auf eure Wahl und wünsche Euch eine herrliche Woche – bis zum nächsten Sonntag,
Euer Mark
Sonntagskind ist – genau wie der Bitcoin – sehr energieaufwändig. Wer der Meinung ist, dass es eine gute Idee ist, diese wöchentliche Offenbarung von Weltklugheit und Bescheidenheit materiell zu fördern, ist herzlich eingeladen. 💸❤️
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Simultanschnickschnackschnuck ist nichts für Anfänger: man spielt Schnickschnackschnuck, aber mit beiden Händen. Schnickschnackschnuck ist übrigens nicht identisch mit „Schere, Stein, Papier”. Schnickschnackschnuck wird mit Brunnen gespielt. Wer etwas anderes behauptet, lügt.
Warum nicht Weltorgie ganz vorne steht🤔aber vielleicht ist das nur mein Wunschdenken 😊