Ich briet früher gern. Täglich brutzelten Hüftsteaks in meiner Pfanne, auch schmorten Chicken Wings im Backofen. Gern flatterte mal ein halbes Hähnchen vorbei. Als meine Tochter zehn Jahre alt war, erklärte sie mir, dass sie aus Rücksicht auf die Tiere ab jetzt auf Fleisch verzichtet. Ich konnte all die Rinderfiletspitzen, Hackbraten, Speckwürfel, Wiener Schnitzel und Nürnberger Rostbratwürstchen aber nicht durch Nutellabrote ersetzen, damals war der Tofu- und Seitanmarkt noch ganz klein. Ich musste also erfinderisch sein. Statt Putengeschnetzeltem gab es Croutons zum Salat, ich wurde sehr kreativ in der Pestoherstellung und zerstieß Walnüsse. Ich panierte Kräuterseitlinge und marinierte Gemüsebratlinge in Senf und Honig. Ich erfand eine neue Art Guacamole mit Unmengen von Knoblauch und Chili und füllte Paprikaschoten.
Etwas raubtierhaftes glüht in ihrem Blick
Ich gewöhnte mich schnell selbst an die neue Ernährung und fand, dass sie mir gut tut. Faszinierend, so elementare Gewohnheiten ändern zu können, Zauber der Evolution! Nach einer Weile war es für mich ganz normal, ohne Schnitzel, Schinken und Salami zu leben. Ich betrachtete das Personal hinter der Fleischtheke plötzlich mit anderen Augen. Ich entdeckte ein sadistisches Blitzen in den Augen der freundlichen Thüringerin, die mir früher immer die Lammfilets aus dem Rückenstück säbelte. Jetzt fuchtelte sie da mit ihrem Messer, in der blutigen Schürze. Etwas raubtierhaftes glühte in ihrem Blick. Einem etwa vierjährigen Jungen reichte sie eine Scheibe Mortadella über den Tresen mit der Schweinskopfsülze. Ob sie das Kind eigentlich selbst essen will? Die Rinderzunge schwieg.
Einmal war ich auf der Insel Mauritius, im Indischen Ozean. Die dort vorherrschende Religion ist der Hinduismus. Überall waren bunte Figuren aus der indischen Mythologie zu sehen: der freundlich dreinblickende Glücksgott Ganesh mit dem Elefantenkopf und seinen vier Armen, der blauhäutige Flötenspieler Krishna. Auch Saraswati und Lakshmi haben je vier Arme. Sie halten Lotusblüten, spielen Laute und zeigen ihre offenen Hände. Sie lächeln. Manchmal stehen menschenhohe Gipsplastiken mitten in der Natur, liebevoll gestaltet und bemalt. Sie erinneren mich an die üppigen Figuren der Künstlerin Niki de Saint Phalle.
Ob das gut für die Seele ist?
Beim Spaziergehen auf der Insel stoße ich auf die einzige katholische Kirche. Ich liebe Kirchen: man geht rein und die Welt ist still. Andacht und Kühle umarmen jeden Besucher, der Kampf des Alltags ist für ein paar Augenblicke nichtig. Auf Mauritius aber habe ich mich so an die gutgelaunten Götter gewöhnt, dass mich ein Schauer packt in diesem finsteren Gotteshaus. Keine lächelnden Fantasywesen mit Rüsseln und Affenschnauzen, die mit mehreren Armen Musik machen. Stattdessen ein massives Kreuz in einem düsteren Gebäude, alles schwarz. Auf dem Kreuz ein Mann, in dessen Hände Nägel geschlagen wurden. Ein Dornenkranz auf dem Kopf. Blut, dass dem Geschändeten ins Gesicht läuft. Nie zuvor habe ich den Horror der biblischen Geschichte so sehr gespürt. Was für eine sadomasochistische Symbolsprache! Ob das gut für die Seele ist?
Gekidnappte Fürsorge
Nach meiner Schreckbegegnung mit dem gefolterten Jesus aß ich am Straßenrand ein leckeres Gemüsecurry. Tief in mir drin schlummert noch irgendwo der Appetitinstinkt, der beim Anblick eines springenden Rehs ausgelöst wird. Das Wild lässt mich aber heute kalt. Auch bei der Forelle im Bach denke ich nicht an Abendbrot. Satt werde ich heute von Obst, Gemüse, genialen Tempehschnitzeln und Seitansteaks. Nur die Pizza geht nicht ohne Käse. Der vegane Schmelzkäse funktioniert noch nicht. Es tut mir leid, verehrte Kühe. Der aus eurer Milch hergestellte Pizzabelag schmeckt einfach zu gut. Vielleicht ist es die Sehnsucht nach einem unbeschwerten Leben auf der Weide, die sich über eure Milch transportiert. Vielleicht auch die reine Liebe, schließlich gebt ihr die Milch nicht freiwillig her, sie ist ja für eure Kleinen. Kann man sich gut fühlen, wenn man Fürsorge kidnappt? Kein Wunder, dass die freundlichen Hindus euch so verehren. Verzeiht mir bitte die nächste Pizza Funghi, auch die übernächste. Ich glaube an die Evolution und an die Forschung, bald haben die Wissenschaftler bestimmt eine Lösung.