Das neue Cover – mit einem Photo von Martin Peterdamm, aufgenommen im biblisch schönen Körnerpark in Berlin-Neukölln
„Nach einer Familienpackung Ketamin das Wort zum Sonntag sprechen, ohne zu wissen, wer Jesus ist!“ – Das kann man mir vorwerfen, nach dem Hören meines ersten Podcasts letzte Woche. (Anmerkung der Red.: Hör ihn dir nicht an, das pathetische Todestimbre ist unerträglich.) Es ist sonderbar: im Studio allein in ein Mikrophon zu sprechen, ist viel schwieriger als bei Konzerten auf der Bühne, wenn ich gleichzeitig die Verbindung zu den vielen Menschen spüre. (Oder zu den beiden Betrunkenen, die nach der Pause noch übrig geblieben sind). Jetzt habe ich mir Hilfe geholt. Eine staatliche Absolventin der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch nimmt sich meines Sprechens an. Bringt mir bei, was Diktion ist, wie man gesprochenen Worten ein Zuhause in der Stimme gibt.
Das Bühnen-Bootcamp
Die „Busch” gilt vielen als die beste Schauspielschule überhaupt. Für andere ist sie ein Drillcamp mit der Atmosphäre eines Stasigefängnisses. Fakt ist, dass die Busch für ihre Sprecherziehung berühmt ist. Man sitzt im Wiener Burgtheater auf dem obersten Rang in der hintersten Reihe der 1.400 Plätze, auf der Bühne geifert, kreischt, lallt, flüstert und faucht sich eine Schauspielerin die Seele aus dem Leib, und man versteht trotzdem jedes Wort – vorausgesetzt, sie war auf der Busch.
So wie auch Nina Hoss, Lars Eidinger, Fritzi Haberlandt, Charly Hübner und sogar Hans-Joachim Kulenkampff und Marlene Dietrich. Ich bin also in bestgestimmten Händen, es kann nur besser werden mit meiner Karriere als Podcaster. Den Link zum heutigen Podcast poste ich dann auf Social Media. Warum eigentlich?
Dirty Smalltalk im Social-Sumpf
Social Media ist so sozial geworden wie nachts in einer Sackgasse einer Horde Crackjunkies auf Entzug zu begegnen. Social Media holt das Mieseste aus uns raus. Es zieht den Smalltalk dem guten Gespräch vor und begünstigt die Niedertracht. Social Media gibt jedem, der krächzen kann, ein Megaphon in die Hand. Kommentar zum Nahostkonflikt? Kein Problem! Meine Meinung zu Till Lindemann? Ich weiß zwar nicht genau Bescheid über alle Details, aber ich habe eine Menge dazu vorzutragen! Wenn es nach Social Media ginge, bräuchte man keine Wahlen mehr. Demokratie funktioniert auch über Likes.
Wer sich freut, bleibt alleine
Social Media war mal anders – ich hatte eine gute Zeit auf Facebook, als ich herausfand, dass sich dort ein digitales Lagerfeuer entfachen lässt, um das man sich mit inspirierten Zufallsbekanntschaften eine Weile scharen kann wie um ein echtes. 2014 tippten mir täglich freundliche Menschen Wörter in die Kommentarspalten meiner Timeline. Diese wurden die Ausgangspunkte für einen Song, den ich am selben Tag komponierte und am Abend in die Kamera sang. Sogar das Fernsehen fand das toll.
Sonst ist Songs schreiben ein einsames Geschäft, auf diese neue Weise fühlte es sich phantastisch an – wie Pionierarbeit in einer jungen Welt! Die Atmosphäre war ausgelassen, ich hatte schließlich eine spielfreudige Eskorte an meiner Seite, die sowohl Publikum als auch Mitschöpfer war. Heute aber bekommt der diabolische Algorithmus Ausschlag, wenn Leute auf Facebook gute Laune haben. Wer sich wohlfühlt, muss alleine bleiben. Die digitale Bühne gehört den Schimpfenden, den Schreihälsen.
Wie gut, auf diesem Pausenhof in der Sonderschule des Miteinanders mittlerweile nur Zaungast zu sein. Ich bin heilfroh, dass meine Worte anders zu euch kommen dürfen als mit dem schäbigen Algorithmen-Güterzug des Meta-Konzerns.
Im Postfach ein Logenplatz
In der Intimität eures Posteingangs gehört zu werden, stimmt mich heiter! Zwischen den kalten Klängen der täglichen Berichte und den süßen Tönen von Liebespost ein vertrauter Sprecher mit erfreulichen Nachrichten zu sein, betrachte ich als Privileg – ich will der gutgekleidete Telegrammbote mit der sonoren Umarmungsstimme auf dem Wellenkamm der Katastrophenmeldungen sein! Der freundlich klingende Verkünder von Zuversicht und Hoffnung, in Schrift und Klang. Romantisiere ich unsere Beziehung? Wahrscheinlich schon – ich mach das jetzt genau wie Jesus!