Der Teufel hat den Schnaps gemacht, genau! Und alle anderen Drogen auch. Ich habe fast ein Dutzend Freunde und Verwandte verloren, weil sie süchtig waren. Den guten Freund und Trompeter, der durch konsequenten Dauersuff das Schlechteste aus sich herausgeholt hat. Er wurde nicht mehr nüchtern. Irgendwann behandelte er alle anderen so schlecht wie sich selbst, dann wollte keiner mehr was mit ihm zu tun haben. Meinen Freund, den Klanginstallationskünstler, den ich Anfang der 90er im besetzten Haus in Berlin kennengelernt hatte, habe ich an die Sucht verloren: er hat einfach nicht aufgehört, sich dichtzukiffen. Ich sah, wie er über Jahre auf der Stelle trat. Das virtuose Monologisieren über seine Projekte wurde ihm im Glücksrausch des Bekifftseins wichtiger als die Projekte selbst, es passierte über Jahre gar nichts. Genau. Mit Anfang 40 hörte sein Herz dann einfach auf zu schlagen.
Die Sucht hat mir meinen Vater genommen: er hat sein exzessives Selbst entweder durch Arbeit oder Amouren ausgelebt – oder durch Alkohol. Im Wodkarausch hat er sich dann erschossen.
Dann sind da die vielen integrierten Alkoholiker und akzeptierten Süchtigen. Der fleißige Schriftsteller, der jeden Abend genau eine Flasche Bordeaux trinkt. Die Kuratorin im Konzerthaus, die in den Pausen mit den Gästen charmiert, das Glas Cremant in der Hand ist ihr Markenzeichen. Genau. Der unkonventionelle Friseurmeister, der sich von seiner Azubine den Feierabendjoint rollen lässt. Alle wollen ein bisschen mehr vom Leben als nur Alltag. Sie wollen ein Sondergefühl, sie wollen die Ausnahme von der Regel.
Wenn die Ausnahme dann alltäglich wird, gibt es die Depression gratis dazu. Ich stand mal in einem Berliner Varieté drei Monate lang jeden Abend auf der Bühne. Anschließend trank ich Champagner an der Bar, zog um die Häuser, schlief meinen Rausch aus und war am Abend wieder hinterm Vorhang. Nach den drei Monaten kam das berühmte Loch: nichts mehr zu tun am Abend, aber die anderen Gewohnheiten blieben. Nach kurzer Zeit war ich schon um 11 Uhr 30 so weit, mir im Bademantel eine Tasse Rotwein aus dem Schlauch zu zapfen. Eine Tasse fühlt sich nicht nach Alkoholismus an. Ein kluger Freund hat mir die Leviten gelesen, dann trank ich erstmal vier Jahre gar nichts. Heute bin ich vorsichtiger und trinke selten, und wenn, dann wenig.
Es ist kurz vor 12. Die Tasse mit dem Rotwein ist schon leer. Die guten Gedanken haben Sendepause. Genau.
Ich muss sagen, dass mir der Alkohol früher sehr geholfen hat. Er hat Mut gemacht, wo er nötig war. Selbstvertrauen geliehen. Manchmal ist Alkohol eine Art Starthilfe – die meisten von uns kennen seinen entfesselnden Effekt. Auch Marihuana: der Cannabisrausch hat mir beigebracht, wie intensiv sinnliches Erleben sein kann – dass es auch ohne geht, wurde mir dann später klar. Es ist nur eben schwieriger.
Wir Menschen lassen uns nicht gerne etwas verbieten. Die Geschichte lehrt uns, dass in Zeiten der Prohibition nicht weniger gesoffen wurde als davor oder danach – es ist nur viel gefährlicher, wenn es verboten ist. Illegaler Schnaps, der blindmacht, Kriminalisierung. Von meiner iranischen Freundin weiß ich, dass in Teheran getanzt, getrunken und gefeiert wird, als gäbe es kein Morgen – unter Lebensgefahr, die Mullahs strafen gern mit Peitschenhieben. Genau.
Gekifft wurde auch schon immer. Mittlerweile ist das Straßengras gefährlich. Von Gangstern vergiftet, mit synthetischen Wirkstoffen gestreckt, die einen ins Grab bringen können.
Der Autor (r.) im Jahr 1995 beim Bauen eines Joints auf der Bühne. Als Teil der künstlerischen Performance ein Akt von enormer symbolischer Strahlkraft.
Ob und wieviel jemand Rauschmittel konsumiert, entscheidet jeder Erwachsene selbst. Die Gesetzgebung ist hier bigott: Alkohol ist ein selbstverständlicher Teil unserer Gesellschaft, wir gestatten unseren Schnapshändlern, dass sie uns ihr Teufelszeug als Verbesserung des Lebens anschnacken. Gleichzeitig machen wir Grasdealer zu Kriminellen. Wer aber kiffen will, besorgt sich was. Ich kenne Rechtsanwältinnen und Lehrer, promovierte Mediziner und berühmte Journalisten, die sich Marihuana beschaffen – und sich strafbar dabei machen.
Kiffen ist gefährlich. Saufen auch. Wir sind Menschen, wir lieben die Gefahr. Es ist ein Kunststück, mit Rauschmitteln umzugehen, you know. Wollen wir als Gesellschaft nicht dafür sorgen, Meister dieser Kunst werden zu können? Wollen wir so weise sein, den Händlern nicht die Schuld an der Gefährlichkeit ihrer Ware zu geben?
Immer, wenn es an einer genauen Sprache mangelt, hört man dieser Tage das Wort „genau“. Ich habe eine Theorie: ein im Englischen gebräuchliches Füllsel ist „you know“. Wenn man nun englisch spricht, mit sagen wir, einem sächsischen Akzent, oder ooch ballinerisch, dann klingt „you know“ fast wie „genau“. Wahrscheinlich hat jemand das irgendwann missverstanden und immer „genau“ gesagt, wenn er sich nach „you know“ fühlte. Das erklärt die Schwemme des Wortes. Ob dabei Alkohol im Spiel war oder Gras? Genau!
Hi Mark, gut, dass Du ernsthaft über wichtige und wuchtige Themen schreibst und dass mit Deinem Humor und ausgesprochenen und ausgeschriebenen Sprachgefühl paarst. Gruß Kantate
… zu dem Thema fiel mir dieses Buch in die Hände, es ist wirklich super. Aber man muss danach mit all den Erkenntnissen über sich selbst weiterleben 🙈😂
„The Dopamine Nation“
https://www.kulturkaufhaus.de/de/detail/ISBN-9781472294159/Lembke-Anna/Dopamine-Nation