Ende des Jahres packt mich immer diese euphorische Aufbruchsstimmung. Zwischen den Jahren ist auf einmal Zeit, auszuschlafen. Man kann dem Champagner schon vormittags eine Chance geben, ohne sich wie im freien Fall in Richtung Gosse zu fühlen. Dann, im Rausch der Leichtigkeit des Lebens, will man mehr, der innere Führer kommt in Gestaltungslaune. Allmachtsphantasien nehmen das Gehirn in den Schwitzkasten: Man glaubt, nächstes Jahr Italienisch, Farsi und Taekwondo lernen zu können, man hat ernsthaft vor, den teigigen Bauchring in ein athletisches Geflecht muskulöser Rechtecke zu verwandeln. Man glaubt, sich von einem ohnmächtigen Opfer der Fastfoodindustrie in einen zurechnungsfähigen Gourmet zu entwickeln. Und dass man ab jetzt in der U-Bahn aufrecht sitzend ein gutes Buch liest und nicht wie die anderen Handysklaven mit dem dümmstmöglichen Gesicht in seine 1000-Euro-Lebensprothese glotzt. Das Umfrageinstitut YouGov findet heraus, dass schon nach acht Wochen die meisten Vorsätze verpufft sind. Ihre Verwirklichung ist einfach zu schwer. Ein besserer Mensch werden ist nichts für Anfänger.
Der evolutionsbiologische Super-Lifehack
Ich habe in den letzten Tagen die ultimative Methode zur Verwirklichung unrealistischer Ziele erfunden. Mit meinem System gelingen die guten Vorsätze. Ich bin so überzeugt, dass ich überlege, ins Lifestylecoaching zu wechseln und eine Geld-zurück-Garantie zu gewähren. Hier ist der Trick, der auf evolutionsbiologischen Erkenntnissen basierende Super-Lifehack:
Im kommenden Jahr will ich mich ausschließlich von Gold umgeben wissen.
Foto: Martin Peterdamm
Genial sein leicht gemacht
Als Komponist kenne ich den niederschmetternden Effekt des „symphonischen Scheiterns“ (den Namen lasse ich nächstes Jahr beim Marken- und Patentamt schützen): du sagst dir: „Heute schreibe ich eine Jahrhundertkomposition, die Beethoven als erbsenzählenden Kunsthandwerker erscheinen lässt, dem der Mut fehlte, groß zu denken.“ Dann sitzt du da, vorm leeren Notenblatt, und findest nicht mal zwei Töne, die zueinander passen.
Jetzt der Trick, basierend auf Erkenntnissen tibetischer Schamanen und buddhistischer Kampfkünstler: Nimm dir das Gegenteil vor. Sage dir: „Ich nehme mir 20 Minuten, um das trivialste, mieseste Stück Musikmüll der Menschheitsgeschichte zu erfinden.“ Die Anspruchslatte liegt unterirdisch, dann ergibt sich eine neurologische Rückkopplung, die kreative Kraft entfesselt sich. Ich habe mit dieser Methode zum Beispiel diese geniale Melodie komponiert, beim Frühstück, und ich war abgelenkt und verkatert!
Mit Urteilen Ordnung schaffen
Übertragen in die irdische Lebenswirklichkeit außerhalb des Komponistenelfenbeinturms bedeutet das: Ersetze deine guten Vorsätze durch ihre Gegenteile. Goethe legte seinem Fiesling Mephisto in den Mund, dass er das Gute schafft, indem er das Böse will. So machen wir das auch.
Also: Fang wieder mit dem Rauchen an. Entwickle Zwangsneurosen. Nimm deine Ängste ernst und lass das mit dem Sport. Hör auf, dieses snobbische Biofood in dich reinzustopfen. Kauf Tui-Aktien, die Kreuzfahrtindustrie geht sonst zugrunde. Iss Eier aus Käfighaltung. Investiere in Anleihen aus Saudi-Arabien, pflege Neidkultur. Versuche, z.B. Putin und den Ayatollah zu verstehen. Such den Tyrannen auch in dir! Iss mehr Industriezucker. Überrasche deine Familie und Freunde mit autoritärem Verhalten. Telephoniere mit angeschaltetem Lautsprecher in öffentlichen Verkehrsmitteln. Geh auf dem Bürgersteig niemandem aus dem Weg, sollen die anderen weichen! Kultiviere ein Klima der Angst. Drücke deine Individualität bei der nächsten Wahl aus: wenn die Mitte bröckelt, müssen die Ränder gestärkt werden. Glaube nicht den sogenannten Wissenschaftlern. Vertraue deiner intuitiven Antipathie gegenüber allen anderen Menschen. Lass dir dein Gefühl nicht als „Vorurteil“ stigmatisieren. Urteile mehr: Menschen in Schubladen einsortieren hat zu unrecht einen schlechten Ruf. Kritisiere mehr. Sitze breitbeinig in der U-Bahn, auch als Frau. Zerstöre Pfandflaschen. Hör auf, Obdachlosen Almosen hinterherzuwerfen, spende dein Geld lieber paramilitärischen Extremisten. Buche Inlandflüge, brüll grundlos rum. Uriniere öffentlich (unisex).
Hör auf, an dir zu „arbeiten” – wenn du wissen willst, wo es lang geht, lass dich gehen.
Wenn du das alles geschafft hast, ist alles andere ein Kinderspiel – ich wünsche ein herrliches Neues Jahr!
Ich danke fürs Lesen meiner wöchentlichen Kolumne! Wenn sie dir gefällt, freu ich mich über ein „Like” – das schafft Sichtbarkeit. Danke!
Soo herrlich und wunderbar. Herzlichen Dank lieber Mark
Geniale Ansätze, gestern war hier aber eh schon Anarchie und Apokalyptische rechtslose Scheiße unterwegs. Jeden Tag brauche ich das nicht! FROHES NEUES!