Auf YouTube erfreue ich mich an einem 70er-Jahre-Talkshowauftritt von Klaus Kinski.
Konsens? Ohne mich!
In der Sendung „Je später der Abend“ ließ sich Kinski eine halbe Stunde lang nicht interviewen – er beantwortete jede Frage mit kunstvollen Frechheiten. Für den Moderator war das ein Desaster, Kinski sorgte dafür, dass man auch nach fünfzig Jahren fasziniert zuschaut, wie er sich der Realität verweigert. Er hat einfach die ungeschriebenen Spielregeln des vernünftigen Gesprächs nicht akzeptiert – und dabei behauptet, die Anderen reden dummes Zeug. Der Moderator hatte keine Chance, sich in Kinskis Sprachraum zu behaupten.
Heute sind viele Künstler supervernünftig – manche von ihnen wollen vielleicht die besseren Politiker sein. Während manche Politiker sich so aufführen, als wären sie eigentlich Künstler. „Das ist ein okayer Job hier als Ministerpräsident – aber eigentlich bin ich Künstler, merkt man doch, oder?” In der Politik ist es wie mit dem Servicepersonal in Berliner Cafés, da sind auch alle Eigentlich-etwas-Anderes-Macher.
Ist dir angst und reichlich bange, sorg für eine pralle Spange!
Ich habe viele Jahre gebraucht, um einigermaßen vernünftig zu werden; das hat Vorteile: Während ich früher ungute Muster pflegte, zum Beispiel auf Mahnungen nicht reagieren, um dann vorm Besuch des Gerichtsvollziehers panisch Musikinstrumente zu verkaufen, zahle ich heute Rechnungen prinzipiell sofort – und sorge dafür, immer genug Druck auf der Geldspange zu haben. Das reicht an Vernunft für ein Künstlerleben.
Fakten zu den Akten
Meine journalistischen Freunde mögen den Überblick über Israel, die Ukraine und das Weiße Haus behalten – ich frage sie, wenn ich etwas nicht verstehe. Die schlauen Freunde müssen sich an die Fakten halten, ich erlaube mir kapriziöse Gedanken, die in kein politisches Koordinatensystem passen müssen. Heute so, morgen anders. Ich bin hier nicht für Aufklärung da. Ich bin zuständig für Verklärung, Fantasie ist mein Metier.
Der Ernst des Lebens stellt sich bitte hinten an
Als ich die ersten Male interviewt wurde, als junger Bremer Musiker, der das Interesse der Presse auf sich zog, konnte ich Fragen zu meiner Musik nicht ernsthaft beantworten. Das seriöse Raunen über Kultur amüsiert mich auch heute noch – entweder muss ich an Loriot denken oder an Hape Kerkelings „Hurz“, wenn schlau dahergeredet wird. Deswegen habe ich früher in einem Radiogespräch anlässlich meiner Bühnenmusik zu Shakespeares „Julius Cäsar” mit kulturwissenschaftlicher Attitüde behauptet, die ganze Musik im Bossanovastil komponiert zu haben, weil Cäsar als nach der Macht greifender Regent genau das war: der neue Boss, Bossa Nova also. Wenn meine Albernheiten ernst genommen wurden, machte es besonderen Spaß – dann erklärte ich noch, dass Cäsar lebt, in Gestalt von Elvis, vom King.
Ignorierter Künstler von Weltrang
Ich stellte fest, dass ich mit dem größten Unsinn durchkomme, solange ich druckreif und selbstbewusst spreche. Irgendwann lernte ich im kleinen Bremen die Redakteurinnen persönlich kennen – dann wollte ich sie nicht mehr verarschen, weil Verarsche Distanz schafft – und ich wollte Nähe.
Schließlich war ich nicht so ein abgeriebener Egoman wie Klaus K., sondern nur ein in seinem Liebesbedarf ignorierter Künstler von nicht gesehenem Weltrang. Diese verdammte Gefallsucht! Jetzt, mit 57 Jahren, stelle ich fest: Es ist immer noch genau so.
Show vor Schlau
Keine Ahnung, ob mich noch irgendein Radiomensch jemals etwas fragen wird, aber wenn, dann kommt Erlebnisdichte vor Inhaltshöhe. Kunst vor Content, Show vor Schlau. Überraschung vor Unterweisung.
Als frischer Schiffseigner werde ich gerade überrascht – und unterwiesen: Schließlich brauche ich, um mein Hausboot bewegen zu können, eine entsprechende Lizenz. Das Freizeitkapitänspatent macht sich nicht von selbst – so sitze ich im Drei-Tages-Crashkurs am Wannsee mit Navigationsinstrumenten über Seekarten und berechne geographische und magnetische Abweichungen. Der Nordpol ist nämlich ein schräges Ding – er liegt woanders, als der Kompass zeigt. Und man kommt nur ans Ziel, wenn man das einrechnet. Sonst darf man sich nicht wundern, wenn Amerikaner auf einmal Indianer heißen.
Wer Nordpol und Südpol geschaffen hat, sollte ein Casino betreiben. Vielleicht ist die Welt ein Casino – und das Leben ein Spiel.
Man kann es strategisch angehen – oder mit Würfeln. Aber wer nur nach Plan lebt, übersieht die Umwege, auf denen Wunder warten. Kann man seinen eigenen Rhythmus finden, wenn man nie aus der Reihe tanzt?
Du hast nichts gesetzt – und trotzdem gewonnen? Ich hab da eine Idee:
I. Verspiel dich. Die Welt ist ernst genug.
II. Nicht alles muss sich lohnen. Es reicht, wenn es leuchtet.
III. Vertraue dem Umweg. Gerade die ungeraden Wege führen zu den schönsten Aussichten.
IV. Erlaube dir Unsinn. Der Verstand braucht viel häufiger Ferien, als er glaubt.
...da schließe ich an: Der neue Boss in Bossa Nova ist ein Volltreffer. Unsinn trifft Intellektuell(igkeit).
Der Soundtrack zum Text - um eine kleine Warnung vor dem leichten, übermäßigen Spiel zu setzten, kommt in meinem Kopf von Gitte:
https://youtu.be/HS0o-HpVkL4?si=4VbQNOSLbK6ZNIbp
Bossa Nova ist genial! Schönen Sonntag dir!