Im letzten ZEIT-Magazin spricht Ricarda Lang über ihre körperliche Veränderung, sie hat sich aus gesundheitlichen Gründen entschlossen, Gewicht zu verlieren. Ich mag sie für ihre Offenheit. Und gestehe: Es fällt mir viel leichter, sie zu mögen, jetzt, wo ihre Gesichtszüge sichtbar sind, ihr persönliches Profil. Je dicker man ist, desto mehr ähnelt man anderen Dicken und weniger sich selbst. Bevor Du jetzt Dein Sonntagskind-Abo kündigst: Ich weiß, wovon ich spreche. Das Gefühl, wenn die Anzeige auf der Waage dreistellig wird, ist kein innerer Triumph. Anders als bei Ricarda Lang bringt mich nicht die Sorge um Gesundheit auf Trab, sondern die reine Eitelkeit.
Als ich an meinem letzten Geburtstag nackt vorm Spiegel stand, dachte ich: Super. Jetzt bist Du 56 und siehst auch so aus. Herzlichen Glückwunsch zum Durchschnittskörper eines Mannes in Deinem Alter! Man nimmt ja ab Mitte 30, so weiß es die Statistik, jedes Jahr ein Kilogramm zu. So überraschte mich beim Blick nach unten auch nicht die erschreckende Zahl auf dem Wiegegerät.
Ich litt schon eine Weile unter zu knappen Anzügen. Wenn sich die Hose nur noch auf Zehenspitzen schließen lässt und das Sakko so spannt, dass der Rock des Jackets einen Entenarsch bildet, sind die Klamotten zu klein bzw. man ist zu fett.
Das allgemeine Bodyshamings ging mir am Bauchfett vorbei: Es tuschelte oft in den letzten Jahren hinter mir „… Er hat aber zugelegt“, oder mir wurde „Essen schmeckt, was?“ ins Gesicht gegrinst. Es sind die wachsamen Frauen in meiner Welt, die mich mit Effekt darauf hinweisen, wenn ich das akzeptable Mittelfeld meiner Erscheinung zu ästhetischen Ungunsten verlasse: Dr. Sara, meine Zahnärztin erinnert mich daran, wie gut ich aussehe, wenn ich schlank bin, meine PR-Managerin Cornelia sagt mir, dass ich aber auch nicht zu dünn werden darf. Im Zangengriff soviel weiblicher Geschmacksführung kann ich mir einen eigenen Kompass sparen.
Dass ich die Form so ungut verlieren konnte, hat vielleicht auch mit meinem etwas voreiligen Abschied von der Bühne vor zwei Jahren zu tun. Beleidigt von der ausbleibenden Resonanz für mein Chansonalbum „Champagner für alle“ beschloss ich, fortan nur noch hinter den Kulissen zu agieren, da braucht man nicht gut auszusehen. Schluss mit dem Tingeltangel und dem würdelosen Herumtelephonieren! Nie wieder den Kulturverein Saargullingen zu einem schlecht bezahlten Auftritt an einem E-Piano überreden, bei dem dann 14 schwerhörige Rentnerinnen sitzen, und im Nebenraum wird gekickert.
Ich liebäugelte nach dem Karriereflop als Schnulzensänger mit einer späten Laufbahn als Opernkomponist. Schließlich hatte ich schon eine Oper für Jugendliche auf die Bühne gebracht und immerhin eine Symphonie komponiert. Händel, Bach und Rossini waren ja auch eher vollschlank. Um die Lage zu sondieren, schaute ich mir gut 30 Opern an: Carmen in Kassel, Salomé in Braunschweig, Verdi in Wien – ich war überall. In den Foyers labte ich mich mit den anderen Experten für die Kunst der Künste an Weißbrothäppchen mit Linsenpaté an einem Jus vom Feigensenf der Zucchiniblüte. In der zweiten Pause dann eine gesalzene Butterbrezel nach einer Mousse aus der Cassistarte. Der Rosé-Cremant sorgte dafür, dass sich die Opernkalorien so unverbindlich anfühlten wie eine feinperlige Donizetti-Arie.
Zum Glück gibt es rund um die großen Musiktheaterhäuser allerorten gute Restaurants, die einem nach der seelenerschütternden Darbietung eines spätromantischen Exzesses um Leben und Tod noch eine ganz irdische Trüffelpasta und eine abschließende Käseauswahl vor der finalen Nougat-Zabaione servieren. Im Nachhall der künstlerischen Berührung lernte ich nicht nur so maßlos zu schlemmen, wie die Partituren von Richard Strauss instrumentiert sind, ich begriff: Oper, das ist meine Welt!
Vielleicht, weil ich diesen Feuilletonkomplex des Nichtabiturienten mit mir herumtrage, musste ich das mit der Oper unbedingt versuchen. Schnell kippte das Gefühl, der feinen Gesellschaft nicht zu genügen, in produktiven Größenwahn! Der 1900-Seiten-Roman „Der Traumpalast“ von Peter Prange hat mich so gepackt, dass ich dachte: das muss gesungen werden, auf der großen Bühne, mit riesigem Orchester! Mit Erlaubnis des Schriftstellers verfasste ich aus den beiden Büchern im Backsteinformat ein Exposé. Mit dem Entwurf eines fünfstündigen Musikdramas über die Geschichte der Filmfabrik Ufa in der Weimarer Republik ging ich also in Opernhäusern Klinken putzen. Kurz zusammengefasst: Es lief nicht gut. Mein sorgfältig vorbereitetes Entrée als Erneuerer der modernen Oper löste sich im Nichts auf, während ich immer mehr Masse in mir versammelte.
Um nicht ganz elendig vor Zurückweisung in Kummer und Gram zu erstarren, schrieb ich mir meine Welt im Sonntagskind zurecht, als von Marzipancroissants gedopter Frühstücksliterat, von der Hochkultur-Intelligenzia ignoriert. Nachdem ich mein Schicksal als verkanntes Jahrhundertgenie ausreichend durchlitten habe, entschied ich mich zu einem ähnlichen Move wie Ricarda Lang nach ihrem Rücktritt von der Parteispitze der Grünen. Die Klamotten passen wieder, die Waage zeigt eine Zahl, die der Umdrehungsgeschwindigkeit von Schelllackplatten entspricht, und so kann es bleiben. Das mit den Schelllackplatten inspiriert mich zu einem richtig fetten Projekt, dessen Aussichten nicht so mager sind wie bei der Opernsache. Bald tische ich auf!
Wer der Meinung ist, das mit dem fetten Projekt sei nur ein schwacher Cliffhanger, unterstützt mich finanziell, sodass ich das Standardwerk „Gute Kolumnenenden schreiben – Unterweisung in 12 Bänden” kaufen und studieren kann.
Kleine Umfrage:
Bis nächsten Sonntag, liebe Lesende. Danke, dass ich jede Woche bei Euch sein darf. Ich wünsche Euch eine herrliche Woche!
Euer Mark, schreibt mir gern, so oder so:
Wie immer sehr amüsant lieber Mark! Die goldenen Schuhe stehen Dir übrigens ausgezeichnet - Gold macht eben schlank ! Ich bin sicher, dass der große Erfolg kurz bevorsteht. In diesem Sinne: Alles wird gut - Champagner für alle!