Herzlich Willkommen zur 205. Ausgabe von Sonntagskind – dem Inspirationsnewsletter für Freigeister und der Lebenskunst Zugeneigte. Dass Musik gegen schlechte Laune hilft, hat uns Roberto Blanco schon in den 70ern beigebracht. Damals waren die Elefanten aber noch nicht so launisch. Heute sind sie wild – viel Spaß beim Lesen, wie schön, dass Du da bist!
Von Sinatra zu Zuckerberg
Früher gab es MySpace, ein nices Forum für Musik und Austausch unter Internet-Entdeckern, der harmlose Wegbereiter für die Teufel von der Firma Meta. Der öffentliche Raum ist längst zur Wettbewerbsarena MyMeinung™ geworden. Frank Sinatra müsste heute singen: „I have my Meinung“ statt „I did it my way“. Haben wir uns jeden zuvorkommenden Umgang abgewöhnt, um das echte Miteinanderleben durch abstoßendes Social-Media-Verhalten zu ersetzen?
Bühne oder Brandbeschleuniger?
Der Podcast-Host Matze Hielscher berichtet von beleidigenden Zuschriften nach einer Sendung mit polarisierenden Gästen – sie kamen aus gegensätzlichen weltanschaulichen Lagern. Dem Podcaster wurde vorgeworfen, diesen Leuten eine Bühne gebaut zu haben, auf der sie sich unwidersprochen ausbreiten konnten. Matze Hielscher sagt, er habe die Leute eingeladen, um ihre extremen Positionen zu verstehen. Dabei hat er auf einen wichtigen Unterschied hingewiesen: Etwas verstehen zu wollen und möglicherweise Verständnis zu haben, bedeutet nicht, einverstanden zu sein.
Die Revolution heißt: Zuhören
Verstehen wollen ist ein Akt der Neugier, eine Investition in Erkenntnisgewinn. Ablehnen und nicht zuhören ist die eigentliche Kapitulation.
Und während der Meinungswald rauscht, lese ich in der ZEIT vom amerikanischen Sozialpsychologen Jonathan Haidt – und einem Bild, das ich nicht mehr loswerde: unser Verstand als Reiter, unser Gefühlsleben als Elefant. Der Reiter glaubt, er habe die Zügel in der Hand. Doch der Elefant trampelt unbeirrt dahin, wo er will.
Eine Karawane der Versöhnung
Da stolpere ich über einen Facebook-Post vom Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer, der gleich zwei Elefanten auf einmal reitet – ein mutiger Zirkuszug gegen die Spaltung der Gesellschaft?
Er spricht von zwei unbequemen Wahrheiten:
1. Durch die Asylzuwanderung hat Gewaltkriminalität deutlich zugenommen,
2. Deutschland ist insgesamt viel sicherer als in den 90er Jahren.
Das eine leugnen die Linken, das andere die Rechten. Palmer sagt: Wer nur eine dieser Wahrheiten gelten lässt, zerrüttet das Land weiter.
Showbiz kennt kein Sowohl-als-auch
Mir gefällt dieser Versuch, beide Wahrheiten nebeneinander stehen zu lassen – ein unkomfortables wie erhellendes Sowohl-als-auch. Leider ist ein Sowohl-als-auch aus Entertainmentgesichtspunkten vor allem eins: eine ganz schwache Nummer. Bei MyMeinung™ fällt so etwas sofort durch. Showtime heißt immer: Entweder-oder. Aber vielleicht besinnt sich ja der allgemeine politische Geist in uns doch noch auf Schlausein und vermischt sich nicht dem Bühnenspirit – der ist schließlich der allerschillerndste Elefant und sollte nicht von rechthaberischen Meinungsschreiern geritten werden. Propaganda kann unter die Haut gehen, aber nie ins Herz.
Dass der Elefant alleine reitet und sogar tanzen kann, habe ich vor ein paar Tagen gemerkt, bei den Singenden Balkonen in Bremen.
Deutschlands höchste Bühne
Zum zehnten Mal hatte ich die Freude, mit allerlei Menschen ein weltumspannendes Musikprogramm zu entwickeln und auf die Bühne zu bringen. Genauer gesagt: Auf Deutschlands höchste Bühne – Die Bewohner der Hochhäuser um einen großen Platz in Bremens Stadtteil Osterholz-Tenever haben ihre Balkone hergegeben, damit auf ihnen gesungen wird. Der höchste war im 12. Stock. Zu ebener Erde knapp 700 Leute im Publikum, auf einer Bühne mit Klavier und Streichquartett habe ich die höhenangstfreien Stimmen begleitet – viele von ihnen aus dem Stadtteil, der Menschen aus fast 100 Nationen ein Zuhause ist. Alle leben in ihrer eigenen Welt – und doch in denselben Häusern.
Death Metal für die Lebensfreude
Da singen also die Nachbarn in die Nacht hinein: Altenpflegerinnen, Studenten, Mechatroniker, Menschen, die sonst vielleicht nie miteinander ins Gespräch kämen. Auf Türkisch, Deutsch, Italienisch, Armenisch, Arabisch, Französisch, Koreanisch. Rap und Chanson, Schlager und Operette, Volkslied und Death Metal – alles in zwei Stunden.
Eine besseres Gegengift zur Zerspaltung der Gesellschaft gibt es nicht, denn das Gegenteil von Meinung ist: Musik. Niemand fragt nach Parteien, nach Weltanschauung. Wir alle haben etwas gemeinsam. Das, was uns einander fremd macht, sind oft nur Gedanken. Ideologien. Konstrukte.
Musik dagegen ist Machung. Sie geschieht. Sie zwingt uns nicht, recht zu haben. Sie lädt uns ein, recht zu fühlen.
Feel right. Don’t ride the elephant.
Bis nächste Woche, liebe Freundinnen und Freunde,
Euer Mark
Hier ein kleiner TV-Bericht von den X. Singenden Balkonen:
Der Post von Matze Hielscher:
Der von Boris Palmer:
Meinung ist erlaubt – solange sie im Kommentarbereich tanzt. Ich freu mich auf deine Gedanken.
Hier der ZEIT-Artikel:
So eine Elefantenherde braucht Pflege und gute Ernährung. Das kostet! Beteiligst Du Dich?
Ich habe einen elefantengedächtnis. Ich vergesse kaum etwas. Ich war auf Koh Chang in Thailand. Die Insel der Elefanten. Sie waren gefangen an einem kleinen Seil also sie bekamen nur Bananen zu fressen. Ich habe mich sehr schuldig gefühlt. Dort als Tourist. Die Lieferanten und die Elefanten und dabei sind sie so stolz und musikalisch und so empfindlich und doch wird sie ausgenutzt genauso wie so viele die leider an der Gesellschaft gelitten und gescheitert sind und jetzt nur noch auf ein friedliches Ende warten.... Musik ist Liebe und ich will sie bis zum Ende so laut wie möglich hören