Verehrte Sonntagskindleserinnen, -leser! Fühlt Ihr Euch auch auf sonderbare Weise an den Beginn der Pandemie vor 5 Jahren erinnert? Mir scheint, als hätte die Gegenwart eine symbolische Verwandtschaft zu der völlig verrückten Ära, die unser ganzes Leben auf den Kopf stellte. Gerade scheint der Zeitgeist wieder mal seine Grenzen auszuloten und zu testen, was wir alles mitmachen. Ist die Zukunft im Nebel, schaue ich in die Vergangenheit! Heute will ich Euch als Sonntagskind eine nahezu ungelesene Kolumne aus meiner Anfangszeit im Hotel aufbereiten, die an die Monate erinnert, als wir uns nach ewig scheinenden Lockdowns wieder die Äuglein rieben und vorsichtig ins Leben tapsten. Wie werden wir erwachen, wenn die nächsten Überraschungsstürme überstanden sind? Hoffentlich, das wünsche ich uns, mit einem Lächeln auf den Lippen.
Hier nun der digitale Nachdruck meiner Sonntagskolumne aus dem Frühjahr 2022:
Vorgestern ist meine neue Platte erschienen. Ich sage lässig „Platte“, weil es sie auch in Gestalt einer LP gibt, die man schön ausklappen kann. Es gibt eine Innenhülle, auf der die Texte stehen, so wie früher. Die Entwicklung, Aufnahme und Produktion des Albums hat zwei Jahre gedauert und ein Vermögen gekostet. Zum Glück haben Freundinnen und Gefährten mich finanziell unterstützt, so konnte ich ein Drittel der Produktion über Crowdfunding finanzieren. Bekanntlich ist das tollste Produkt aber nichts wert, wenn es keiner kennt. Dem Himmel sei dank konnte ich eine Promoterin überreden, die sich große Mühe gibt, die Presse für mich und mein Album zu begeistern.
Regelmäßig ruft sie an, um zu berichten, dass sich weder das Feuilleton der „NZZ“ noch der „Spiegel“ und auch nicht „Aspekte“ für mein Album interessieren, auch „db Mobil“ lehnen „das Thema“ ab, wie es branchenlinguistisch heißt. Einzig eine bestimmte Illustrierte sei eventuell interessiert, ein Photo von mir zu bringen. Eine Wochenzeitung vom unteren Rand der journalistischen Grundversorgung, mit der größtmöglichen Distanz zu „F.A.Z,“ „Zeit“ und „Philosophie heute“. Und außerdem ohne Kulturredaktion. Aber in der Rubrik „Promi-Witz der Woche“ könnte mein Bild neben einem noch zu findenden Kalauer stehen. Keine musikwissenschaftliche Analyse meiner gekonnten Streicherarrangements, nicht die hymnische Empfehlung für den Preis der deutschen Schallplattenkritik, kein Portrait im Deutschlandfunk. Immerhin ein Witz!
Meine feinfühlige Promoterin transportiert die Anfrage sehr vorsichtig. Sie weiß, dass ich mich in einer Linie mit Gustav Mahler, Richard Wagner und Frank Sinatra sehe und mir in Gesellschaft der Geissens, Andy Borg und dem Wendler künstlerisch ein bisschen fremd vorkomme. Mein Verhältnis zu jeder Art von Presse ist aber vergleichbar mit einem seit Tagen in der Wüste Umherirrenden zum Wasser. Ich schreie „ja!“, bevor sie die Frage beenden kann. Ich mache alles für ein bisschen Fame! Einen Witz erzählen ist keine große Sache. Obwohl ich mir schon als Kind blöd vorkam beim Witze erzählen. Diese künstliche Passivität, in die man sein Gegenüber zwingt, ist, wie man heute sagt, cringe. Die Degradierung des Zuhörers zum Stichwortgeber, der auf eine intelligente Frage wie „Warum haben Blondinen nur vier Gehirnzellen“ „keine Ahnung!“ zu entgegnen hat, bevor die geniale Punchline „für jede Herdplatte eine!“ semikarthatisches Lachhüsteln hervorbringt, ist die reine Scham.
Stark ist Humor, wenn er einen unverhofft anspringt. Wie in den ersten Sätzen von Bob Odenkirks Autobiographie. In „Comedy Comedy Drama“ schreibt der Saul-Goodman-Darsteller aus „Breaking Bad“:
„Wie beginnt man ein Buch? Dickens, Melville, Odenkirk – alle standen vor der gleichen Frage, und nur einer ist gescheitert. Melville: „Nenn mich Ismael.“ – Und ich wollte schon aufgeben!“
Für die Anfrage des Heftes mit dem RTL-II-Publikum will ich wie Bob Odenkirk selbst Komödiant sein. Nach drei Tagen Entwicklung komme ich zu folgendem grandiosen Gag mit einer furiose Pointe:
Ich empfehle geneigte Lesende, den extrem zeitgemäßen Zweizeiler von hohem Niveau konfessionsübergreifend auf Wirkung zu prüfen. Ein kleiner Bericht würde dem Wissenschaftler in mir Freude bereiten. Ich wünsche einen herrlichen Sonntag!
Es ist im Übrigen ein schönes Gefühl, mit Euch auf diese Weise in Verbindung zu sein: Viele von Euch lesen und genießen still, Einige schreiben mir, sei es in Kommentaren oder per Mail, Manche werfen eine Spende in den Hut. Alle vier Varianten sind gut, Sonntagskind ist frei wie ein körpereigenes Endorphin-High. Wer Lust hat, in die Chance eines kleinen literarischen Frühstücksrausches zu investieren, anstatt sein Geld zum Crack-Dealer zu tragen, kann das hier ganz legal unternehmen:
Bis nächsten Sonntag,
Euer Mark
Der Witz mit dem Fegefeuer ist köstlich !