Liebe, sehr gern gehabte Lesende,
dass ein Lied von mir über seinen Trennungsschmerz hinweggeholfen hat, erzählt mir mein Freund und Sonntagskind-Leser Jacques. Er hörte „Keine Angst, es wird gut“1 mehrmals am Tag und kam dadurch auf bessere Gedanken. Das macht mich glücklich! Oft frage ich mich, ob es überhaupt einen Unterschied macht, dass ich ein Lied veröffentliche oder einen Text schreibe, wie diesen hier. Jacques sagt: ja – Mission erfüllt. So hoffe ich jede Woche, dass ich mein Sonntagskindglück weitergeben kann.
Ich will hier nur unterhalten. Ein Frühstücksgespräch anstoßen. Für Analysen der politischen Gesamtsituation inkl. Lösungsvorschlag habe ich zwar die entsprechende Hybris, aber leider nicht genug Ahnung. Deswegen: just Entertainment!
Und das bleibt gratis, oder wie es schöner auf Englisch heißt: free. Dass einige von Euch dem mit finanzieller Freizügigkeit begegnen, tut richtig gut. Dafür ist der PayPal-Button weiter unten, jeder Euro hilft und macht Freude. Danke – und jetzt: viel Spaß beim Lesen vom 111. Sonntagskind!
„Was macht deine theoretische Führerscheinprüfung?“ frage ich meine 22-jährige Tochter. Ich weiß, dass es ihr seit Monaten schwerfällt, sich aufzuraffen, die Antworten zu den 1000 Fragen über Verkehrsregeln auswendig zu lernen. Sie sagt darauf nebenbei: „Ich habe gerade andere Themen im Fokus“ und ergänzt ihre lässige Konterantwort mit der Sensationsphrase „Es ist aber ein aktiver Teil meiner Gedankenwelt“. Damit gibt sie mir einen Eindruck von der Überlegenheit ihres Bewusstseins. Was für ein glänzender Euphemismus! Vielleicht wird sie nie einen Führerschein besitzen, aber ihre Gedankenwelt hat Style.
Jahrhundertgedanken / Flow statt Action
Ich kenne aus meiner Zeit als Kiffer den verführerischen Zauber des gehalt- und konsequenzlosen Laberns. Im Nebel des Rausches werden die gerade formulierten Worte Offenbarungen eines genialen Geists, der sich mit der universalen Weltklugheit verbindet. Am nächsten Tag kann man sich zwar nicht mehr erinnern, wie die Formel zur Rettung der Erde im Detail aussah, aber hinter der Stirn kribbelt es noch so wohltuend. Das ist der Nachhall der Jahrhundertgedanken. Die beruhigende Wirkung der eigenen Geistesexzellenz bewahrt einem vor übereiltem Handeln. Wenn man weiß, wie alles theoretisch gehen würde, kann man sich beruhigt zurücklehnen.
Drama-Therapie
Ich hatte vor einiger Zeit ein paar trübe Monate, bekam meinen Arsch nicht hoch. Haderte, grübelte, zögerte. Ich besuchte meine Therapeutin – sie neigt manchmal zu drastischen Performances in unseren Sitzungen, dann verkörpert sie andere Menschen, manchmal verkörpert sie auch Prinzipien: „Ich bin jetzt Ihre Kreativität, schauen Sie mal, wie ich mich fühle.“ Sie schmeißt sich auf den Boden, mit dem Gesicht zum Teppich und weint. Macht mir Vorwürfe, warum ich sie im Dreck liegenlasse, warum ich sie nicht aufhebe, mich nicht um sie kümmere.
Sie hat den Nerv getroffen, ich hörte auf mit Hadern, Grübeln, Zögern. Und kam ins Voranpreschen, übermütig Handeln, einfach Machen. Ich verstand ihre Botschaft und kümmerte mich endlich wieder um mein Leben – und um die längst überfällige Vertonung eines Liederzyklus.2
Schlaue Slogans
Es gibt nichts gutes, außer man tut es, sagt Erich Kästner unter der Überschrift „Moral” – Volltreffer! Oder auch „Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“ (Hesse), „Just do it“ (Nike), „Die tun was“ (Ford), „Wir machen das klar“ (Jan Delay). Der Trompeter Clark Terry: „Keep on keeping on“.3
Erlösung durch Schock
Der neue Regierende Bürgermeister von Berlin, Kai Wegner, ernennt „Machen ist wie wollen, nur krasser“ zu seinem Leitspruch, mit dem er die schnarchige Verwaltung der Hauptstadt auf Zack bringen will.
Ich habe im Rathaus Spandau mal miterlebt, wie ein Mann an der bürokratischen Trägheit einer Sachbearbeiterin verzweifelte. Er hatte sich wegen einer unheilbaren Krankheit für einen assistierten Suizid entschieden. Jemanden für die Freitodhilfe zu finden, ist ihm gelungen, ich stelle mir das schwer vor. Die Berliner Verwaltung war aber über Monate nicht in der Lage, ihm bei der Organisation seiner eigenen Beerdigung zu assistieren. In Berlin werden Sterbewillige zum ewigen Leben gezwungen.
Ich habe eine Idee, wie die Sachbearbeiterin den Sterbeprozess durch Schock beschleunigen kann, dann ist der Ärger über den existenziellen Verwaltungsmakel ganz schnell vorbei! Sie soll dem vom Leben Enttäuschten sagen, dass sie gerade andere Themen im Fokus hat. Und dann, mit einem diabolischen Lächeln: „Ihr Anliegen ist aber ein aktiver Teil unserer Gedankenwelt.”
Jeder Spende wohnt ein Zauber inne!
P.S.: Wer doch noch darüber nachdenkt, ob es evtl. eine gute Idee ist, doch zu handeln, kann sich das zu der genialen Musik von Herbie Hancocks „Doin’ it” in Ruhe überlegen.
Das klingt so schön prätentiös nach 19. Jahrhundert, nicht wahr? Es ist aber die Wahrheit! Der Dichter Volkmar Baumann hat Beobachtungen aus seiner Zeit als Tangotänzer niedergeschrieben und mich mit der Vertonung beauftragt – auch das ist schön anachronistisch und klingt nach Fürstentümern und Salonkultur zu Hofe. Vor ein paar Tagen bin ich fertig geworden, die Noten für Bariton und Klavier liegen gedruckt vor und machen was her! Vom Kompositionshonorar lasse ich mein Notenpapier für den Rest meines Lebens per Hand schöpfen.