Liebe wachsende Gemeinschaft der Sonntagskind Lesenden, herzlich Willkommen den neuen Freundinnen und Freunden – einen schönen Sonntagmorgen euch allen. Manche Begegnungen sind so unvergesslich, dass sie erzählt werden müssen. Zum Beispiel diese hier. Ich wünsche viel Freude mit dem 119. Sonntagskind!
Als Bühnenmensch bin ich spontane Kommunikation mit dem Publikum gewohnt. Das Schreiben und Gelesenwerden ist anders, aber verwandt: ich freue mich über jede Reaktion, jeden Kommentar, das fühlt sich fast an wie Applaus (oder Tomaten). Wer Lust hat, meinen Ruf als Frühstücksliterat zu festigen, empfiehlt Sonntagskind im Freundeskreis, zum Beispiel mit ein paar reizenden Worten nach dem Klick auf dieses Knöpfchen:
Jetzt ab zur Anprobe!
Der berühmte Designer begrüßt mich bester Laune, kurz vor Feierabend. In seine Boutique kommt man neuerdings nur noch mit Termin. „By appointment only“ steht auf einem silbernen Schild vor der Eingangstür. Der Meister empfängt mich, als wären wir die längsten Freunde und trinkt abwechselnd Champagner, Bier und Kurze. Er will mir immerzu einschenken, aber ich erkläre ihm, dass ich gerade keinen Alkohol trinke. Trotzdem reicht er mir eine gefüllte Schale. „Trink Champagner!” Ich schüttele den Kopf, die Schale schwebt immer noch unter meiner Nase, sein Blick gleitet erst ins Karitative, dann in die Resignation: schließlich kippt er den Schampus selbst runter.
Expression und Contenance
Ich bin doch nur hier, damit der Coutourier meinen Anzug für den Schneider vorbereitet! Mir ist etwas mulmig, als der angezechte Modezar mit Stecknadeln an meinem Hosenbund rumfummelt. Wir kommen aber trotz unserer verschiedenen Ausgangslagen ins Gespräch. Dabei ermuntert mich der Boutiquier immer wieder, mehr aus mir rauszukommen, er empfindet offenbar, dass ich das nötig habe. Ich finde mich zwar selbst ausdrucksstark genug, aber dem heftig beschwipsten Fashion-Createur, der ohne Pause spricht, komme ich gerade wohl eher schüchtern vor. Die Rollen hat er schnell verteilt: er ist der lebenskluge Schwelger, ich sein Azubi. Ich ziehe mich angesichts der unangenehm patronisierenden Ankumpelei in eine gewisse Reserviertheit zurück und fühle mich fast ein bisschen britisch. Stiff upper lip!
Zurückhaltung ist Gift für den männlichen Eros
Der angetüterte Gewand-Inventor bemerkt meine distanzierte Freundlichkeit. Die sei nicht gut, sagt er. Er habe selbst eine Zeit lang den Imperativ aus seinem Sprachschatz verbannt, weil er immer nett sein wollte. Ich benutze den Imperativ auch so gut wie nie, sage ich. Er meint, die selbstauferlegte Kommandobremse hätte ihm Erektionsstörungen bereitet. Dabei richtet er einen Zeigefinger auf, den er dann in sich zusammenfallen lässt. Er schaut mich währenddessen so mitleidig an, als wäre ich derjenige, der seine Symptome hat. Ich stelle mir vor, wie der eloquente Anzugmacher mit Lebensberatungsambitionen einen Ratgeber für Männer schreibt, deren Liebesleben erloschen ist: „Befehle bellen – Lust herstellen.”
Zärtliche Anweisungen
In meinem Leben ist der Imperativ fast immer unnötig, ich habe Höflichkeitszwang. Schon als Fünfzehnjähriger wollte ich alle siezen. Manchmal versuchte ich bei Mädchen einen Handkuss, natürlich wurde ich ausgelacht. Das übliche Rumgemacker unter Jungs empfand ich in meiner aristokratischen Selbstwahrnehmung als zu grob. (Siehe diese Sonntagskindkolumne – Anmerkung d. Red.) Zum Glück musste ich nicht zur Bundeswehr, das wäre eine Tragikomödie geworden. Ich wäre versucht gewesen, den Kommandostil zu kultivieren: „Verehrter Herr Offizier, Ihre Anweisungen würden gewiss sehr viel wohlwollender befolgt, wenn Sie sich eines charmanteren Tonfalls befleißigten.”
Sterben mit Manieren
Wie gut, dass ich nur Musiker bin! Ich wäre auch ein sehr schlechter Notarzt: „Schwester Ingegret, könnten Sie sich vorstellen, mir zur Rettung des ansonsten womöglich an Ort und Stelle dahinscheidenden Patienten ein ganz bestimmtes Instrument zu reichen? Zum Beispiel den Defibrillator? Das wäre ganz reizend von Ihnen. Ich schätze es im übrigen sehr, mit Ihnen zusammenzuarbeiten. Darf ich Ihnen ein Glas Champagner reichen?“
Der Anzug sitzt im übrigen wie maßgeschneidert – ein modischer Imperativ!
P.S.: Hast du auch Photos von dir, auf denen die Mode im Kommandoton brüllt? Schick mir eins, ich veröffentliche es in der nächsten Sonntagskindausgabe!
Heidi aus Hamburg schreibt:
HALLO, lieber Mark,
danke für das unterhaltsame Sonntagskind. Zu Deiner Frage, brauchen wir den Imperatv? Na klar, doch. Richard meinte, ich benutze ihn ständig, was seine Person betrifft. Hat er recht. Erstens hört er schlecht, da ist ein Imperatv unbedingt angebracht und dann schaltet er manchmal auf Durchzug, auch da hilft der Imperativ!
Danke - this made my sunday!
Liebe Grüße ❤️
Stiff upper lip FTW!