Schwitz dich schlau
Ist Sport Mord? Autobiographie mit Seitenstechen
Liebe Lesende, inspirationslüsterne Gemeinschaft, freundliche Freigeister, Suchende im Sumpf der Wirklichkeit, herzlich willkommen im Salon Sonntagskind, dem exklusiven Forum für stilvolle Unterhaltung und Ironie mit Herz.
Mit muskelkaterigen Waden nach meinem ersten Halbmarathon hoffe ich, Euch mit der Chronik meines sportlichen Scheiterns Freude zu bereiten. Viel Spaß mit dem 216. Sonntagskind!
Der erste Knockout
Zeit meines Lebens: Ich ein Sportmuffel. Sportunterricht? Sport, ein Fettfleck auf dem Stundenplan! Umkleidemief, kalte Halle, dann der fiese Herr Niehaus, der mit der Trillerpfeife rumlärmt, sein Gierblick klebt zu lange an den Popos der Mädchen. „Sport ist Mord“ schmiert jemand mit Edding auf einen der Spinde.
Der Anti-Athlet
Für Wettbewerb bin ich zu arrogant – Gewinnen interessiert mich einfach nicht. Einzelkindschicksal: Ich habe schon alles und muss mich nicht gegen Geschwister durchsetzen. Sport, das ist was für Leute mit Biss. Die Jungs, die Fußballer werden wollen, sind aggressiver, die wollen was. Ich? Kein Interesse. Einem Ball hinterherlaufen oder mich mit Liegestützen profilieren? Anstrengung ohne Anlass ist nichts für mich verwöhnten Dandy. Sport wird trotzdem mein Schicksal-Schulfach: Wegen Fehlzeiten bei Herrn Niehaus muss ich die 11. Klasse wiederholen. Sitzenbleiben kurz vorm Abi – dafür gibt es noch nicht mal eine Teilnahmebescheinigung. Mit achtzehn beende ich den Trainingszyklus und räume das Spielfeld – ohne Pokal.
Mit zwanzig: der Gillette-Schock
In meinen Zwanzigern wünsche ich mir einen Oberkörper wie der Gillette-Mann aus der Fernsehwerbung – ja, dann musst du Sport machen, Junge! Da ist es wieder, das hässliche Wort. Und mit ihm kehrt der Umkleidemief zurück, diesesmal im Bodybuildingstudio. Aber wo stöhnende Berserker mit lächerlichem Ernst ihre Bizepse formen, kann ich nicht atmen. Laufen ist mir zu öde, sportliches Radfahren zu unsexy und Schwimmen zu kalt. Die mangelnde Triathlon-Neigung kompensiere ich mit der polytoxischen Iron-Man-Routine: Saufen bis zur Besinnungslosigkeit, dann sich nüchtern koksen und anschließend wieder runterkiffen. Darin bin ich ganz gut – und in dieser Disziplin gibt es keine Rivalen, nur kollegiale Sportsfreunde, die genauso hart trainieren wie ich.
Mit dreißig: Startschuss für die Midlife-Crisis
In meinen Dreißigern dämmert mir: Du musst Sport machen, sonst geht’s bergab: Bandscheibenvorfall, Rollator, Verarmung, sozialer Abstieg, zum Frühstück Hundefutter aus der Dose. Manchmal braucht es einen unsanften Gruß aus der Zukunft, damit man den Arsch hoch und seinen Ball ins Spiel kriegt. Also Endspurt statt Frührente – was macht am schnellsten fit? Ich geh zum Boxen.
Das sogenannte Warm-Up-Training ist für mich ein Burn-Out. Am Ende, nach 90 Minuten Dauerüberforderung gibt es zur Belohnung Bauchmuskelübungen, die gehen so: Du liegst auf dem Rücken, winkelst die Knie und die Ellenbogen an und nimmst den Nacken hoch. So bleiben. Halten. Ablegen verboten. Während sich alle mit hochrotem Kopf auf dem Boden gen Decke krümmen, schreitet der Trainer gut gelaunt, alle Zeit der Welt im Gepäck, mit seinem Lieblingsspielzeug herum, dem Medizinball. Den schmettert er gelegentlich auf die eine oder andere Bauchdecke, zum Beispiel meine. Dabei kommentiert er meinen Schmerzensschrei: Was stöhnst du so rum, bist du schwul oder was?
Wieder heißt es: fort vom Sport.
Mit vierzig: Der Prenzlauer Berg-Parcours
In meinen Vierzigern denke ich: Runter von der Ersatzbank, sonst kommt der Schlusspfiff, bevor du dich warmgelaufen hast. Also etliche Male in selbstbesoffener Euphorie nach dem Probetraining Jahresverträge im Gym unterschreiben, obwohl ich die Dauerbeschallung in den Muckibuden nicht aushalte und nie wieder komme. Kung-Fu probiere ich, Thaiboxen und Aikido, Gewichtheben zuhause, Yoga, Pilates und sogar Intervalltraining im Prenzlauer Berg-Edelstudio mit persönlichem Trainer. Alles kleine, mit schlechtem Gewissen gelaufene Angst-Sprints auf der langen Rennstrecke meiner Sportverweigerung.
Mit fünfzig: Verspäteter Trainingsbeginn
Dann mit fünfzig, einfach so, nach dem Kaffee am Morgen, renne ich barfuß in den französischen Alpen die eineinhalb Kilometer vom Haus bis zum Fluss und wieder zurück. Keuchend breche ich zusammen nach diesem Marathon von drei Kilometerchen. Aber am nächsten Tag, als der Muskelkater in den Oberschenkeln und Waden brennt, weicht die Schwärze aus der Seele, ich jogge nochmal – und in meinem Kopf schallen Stadionschreie aus dem Fanblock mit den Schmerz-Ultras und Überwindungs-Hooligans. Das ist mehr als großes Tennis.
Der Eddingpoet schmierte damals die Wahrheit aufs Resopal des Umkleidespinds: Sport ist Mord – Mord am Zweifel, an der schlechten Laune, am Übelmut. Der Endorphinkick aus der privaten Hausbar im Gehirn schenkt einem ein kostenloses High, das dir kein Dealer dieser Welt besorgt. „Sport ist Mord“ stimmt auch auf ganz moderne weise: Sport killt den Algorithmus – in einer Welt, in der nur noch Daumen bewegt werden, ist Sport eine analoge Form der Erkenntnis. Geistbildung durch den Körper. Schwitz dich schlau gegen die digitale Erschlaffung.
Mit sechzig: Nachsitzen als Lebenskunst?
Mit sechzig werde ich fitter sein als in der 11. Klasse – ich kann ja mal Herrn Niehaus fragen, ob er mich das Abitur nachholen lässt.
Liste der neuerfundenen Wörter im 216. Sonntagskind:
Inspirationslüstern, Gierblick, Schicksal-Schulfach, Angst-Sprint, Schmerz-Ultras, Eddingpoet.
Selbstüberwindung ist Gruppensport. Kommentiere – aber bitte ohne Trillerpfeife:
Aus der Kajüte der Erkenntnis
I. Wer sich bewegt, widerspricht der eigenen Vergänglichkeit.
II. Sport ist die eleganteste Form konstruktiver Selbstkritik.
III. Wer immer auf später wartet, trainiert nur die Enttäuschung.
Wer hier zum ersten Mal vorbeischaut: Ich bin Mark Scheibe, ein freundlicher Snob, der mit seinem Steinway-Flügel auf einem Hausboot lebt. Ich gelte als weltweit ignorierter Künstler. Ein Geheimtipp bin ich als Opernkomponist und Jazzsänger. Auch als Schlagertexter, Astrologe und Marathonläufer halte ich mich aus Anstandsgründen dem Glitzerlicht der öffentlichen Bewunderung fern. Mit meiner wöchentlichen Kolumne „Sonntagskind” versuche ich mich vor dem natürlichen Andrang auf mein stetig wachsendes literarisches Oeuvre zu verstecken.
Danke fürs Lesen bis zum Schluss – das ist in dieser ablenkungsreichen Zeit ein Kunststück. Wenn Dir meine Art zu schreiben gefällt und mir eine Freude machen willst: Lass ein Like da, das verhilft mir zu mehr Sichtbarkeit. Jeder Kommentar boostet den Algorithmus und macht andere Leute auf mich aufmerksam. Danke! Dein
PS: Bremerinnen, Bremer! Am 24. 11. gibt es um 19 Uhr wieder den Salon der neuen Zeit – dieses Mal mit meinem Freund, dem Bestsellerautor Peter Prange. Erlebt den Meister des historischen Romans im Gespräch mit Christel Fangmann, ich schreibe während des Talks einen Songtext, den wir in einem Schwarmintelligenz-Experiment gemeinsam vertonen und sogar singen. Sehen wir uns? Anmeldungen unter veranstaltungen@christel-fangmann.eu







