Die Metapher ist das Allheilmittel der Vernunftvergiftung. Neulich habe ich gehört, Emden in Ostfriesland sei das Venedig des Nordens: die Wasserwege, die Brücken, kein Unterschied! Singen die ostfriesischen Gondoliere, als wären sie Neffen von Caruso? Das habe ich zwar mit meinen Ohren, den Augen der Seele, noch nicht gehört, aber die Krabbenbrötchen sind die Tramezzini der Nordseeküste. Wenn’s im Juli in Emden satte achtzehn Grad hat, wird das Jever Pilsener zum Aperol Spritz des Flachlands.
Wuppertal hingegen ist das San Francisco Nordrheinwestfalens. Hoch und runter geht es da – in einer Stadt, die eine schwebende Bahn erfindet, denkt man unweigerlich an Hippies, Beatniks und free Love, LSD in NRW. Hätte Udo Jürgens in seinem New-York-Song nicht besser gesungen: „…ich war noch niemals richtig frei, noch nie in Wuppertal in abgeriss’nen Jeans…“? Keine Ahnung, ob der große Chansonnier jemals in Delmenhorst war: In den 1970ern war das kleine Delmenhorst für ein paar Wochen die Stadt mit der höchsten Jugendkriminalitätsrate der Welt! Die Bronx ist das Delmenhorst der East Coast, Bruder.
Genau wie New York hat das schleswig-holsteinische Wedel eine Schiffswillkommensstelle. Wer da anlegt, will sein altes Leben vergessen. Wedel: If you can make it there, you’ll make it anywhere! Frei und unabhäng vom Hamburger Schnöseldiktat, ist Wedel das New York Schleswig-Holsteins.
Charlottenburg aber ist das Wien Berlins. Wien hat seinen 1. Bezirk, mit dem Burgtheater, dem Heldenplatz – herrlich! Der 1. Bezirk ist das Paris Wiens. Und Berlin? Berlin hat überhaupt kein Paris. Ich hatte mal von Berlin-Wedding die Schnauze voll. 12 Jahre lang habe ich mir vormachen lassen, der Wedding „käme“. Habe gewartet, dass sich die Gentrifizierung wirklich ereignet, dass französische Feinkostläden einziehen, wo immer noch Wettbüros um eine zwielichtige Kundschaft buhlen. Also flüchtete ich aus dieser kriminellen Region, diesem Caracas der deutschen Hauptstadt.
Ich zog ins Florenz des Berliner Speckgürtels, auf die historische Insel Werder in der Nähe von Potsdam. Zur alljährlichen Obstbaumblüte ist da allerdings Finito mit Felicità: dann zeigt der Brandenburger, was er unter Dolce Vita versteht. Peitscht der zuckersüße Kirschwein der Region wie ein toskanischer Sommerwind in die Kehlen der Eingeborenen, steckt der Obstgarten des Ostens in puncto Sauf-Exzessivität sogar das Oktoberfest in München pronto in die Tasche. München ist das Bremen des Alpenvorlands, denn in Bremen wohnen die meisten Alkoholiker. Mit Werder Bremen hat die Insel Werder zwar nichts zu tun, aber Werder ist der Ballermann Brandenburgs, wenn auch Bremen manchmal das Mallorca der Hansestädte genannt wird. Schon Theodor Fontane schrieb über die Leute auf Werder nichts Gutes:
„Die Menschen hier sind zum Umgange wenig geschickt und hassen alle Fremden, die sich unter ihnen niederlassen. Sie haben üble Kinderzucht, schlechte Sitten und halten nicht viel auf Künste und Wissenschaften.“
So ist das in Brandenburg, dem Sibirien Westeuropas. Bei mir hat es mit der Integration dort nicht geklappt. Ich habe versucht, auf Werder eine Parallelgesellschaft zu gründen, habe aber in dieser gottlosen Gegend niemanden dafür gefunden.
Vor einiger Zeit spielte ich ein Konzert bei sehr netten Leuten in der Kleinstadt Saarwellingen. Auf dem Heimweg nach der Show zu meiner Pension an einer lauten Bundesstraße dachte ich: Hoffentlich ist nicht das ganze Saarland so deprimierend. Sonst müsste man Saarwellingen das Chemnitz an der französischen Grenze nennen, nicht zu verwechseln mit der Sächsischen Schweiz. Die Sächsische Schweiz ist das ostfriesische Afghanistan des Erzgebirges: Die Schweizer sind wie die Taliban ein strenges Völkchen von hohem Sicherheitsbedürfnis. Und die Sachsen, das sind die Ostfriesen der ehemaligen DDR. Daraus ergibt sich, dass Dresden das Emden des Ostens sein muss, das man Venedig des Nordens nennt. Braucht es noch einen weiteren Beweis für die Einheit Europas?
Liebe Freundinnen, Freunde,
danke fürs Lesen des 152. Sonntagskinds, dem Obstwein unter den Kolumnen. Die Metapher geht auf Aristoteles zurück, dem Popstar der alten Griechen. Wie wäre es mit einem Abo? Das Sonntagskind-Abo ist der Champagner unter den Verpflichtungen.
Ich freue mich, dass Ihr, meine geliebte Leserschaft, immer größer werdet. Das liegt an den vielen persönlichen Sonntagskind-Empfehlungen per Mail, auf Facebook und in peinlichen Gesprächspausen beim ersten Date. Eine Sonntagskindempfehlung ist der Icebreaker unter den Verlegenheitsritualen! Danke!
Geld ist das Gleitmittel unter den komplexen Energien. Sonntagskind bleibt frei wie ein Hippie. Wer aber einen Euro in den Jukebox-Slot der Sonntagslektüre werfen mag, zaubert dem Aristoteles der Frühstücksliteratur ein Lächeln ins Gesicht. <3
Bis nächsten Sonntag,
Euer Mark
vortrefflich angerichtet !
habe mit It rumgefummelt, so dass keine zeit mehr für Kommentar !