Das ist jetzt ein richtig arroganter Wessimove, wie man ihn Schnöseln und Privatpatienten zuschreibt: Schön beim Weißweinchen in Berlin-Charlottenburg die prekäre Lage im Osten besprechen. Und dabei die bildungsferne Nicht-Elite geringschätzen, die für den Boom der Schmuddelbuchstaben A,B,D,F,S und W sorgt.
Nicht weit von meiner Berliner Wohnung beugte sich Albert Speer mit dem Führer über ein Modell der Welthauptstadt Germania. Ganz ungeachtet der hässlichen Assoziationen mit diesem Personal: so etwas tut gut. Überblick hilft!
Die Deutschlandkarte am Abend der Europawahl bestätigt die westliche Sicht: Ostdeutschland, das sind die anderen. Viele von denen dort sehnen sich nach einer starken Hand, einer strengen Führung. Sie wählen also die Partei, die weiterhin dafür sorgt, dass Ostdeutschland eine No-Go-Area bleibt. Und sie wählen die Trumpschülerin Wagenknecht, die der Ukraine die Schuld am Krieg gibt. Endlich mal was los! Mit so durchgeknallten Leuten macht Politik auch Kindern Spaß.
„Jetzt reicht’s! Warum ignoriert dieser überhebliche Schreiberling die EM?” denkst du? Verhalte dich widersprüchlich und abonniere SONNTAGSKIND trotzdem!
Die Fläche unserer neuen Bundesländer mit den alten Sehnsüchten entspricht in etwa der Fläche der ukrainischen Regionen, die Russland besetzt. Das ist doch kein Zufall! Merken unsere Politiker eigentlich irgendwas? Ist irgendwer mal auf die Idee gekommen, mit Putin zu reden? Ein russisches Ostdeutschland könnte den Frieden in Europa bringen! Der Russe Wladimir hätte das Zarenfeeling, das er sich so wünscht, wenn sein Reich bis an die Elbe geht. Die Ukraine wäre frei und die erzürnten AfD-Wähler hätten endlich ihren Diktator. Sahra könnte sich als Außenministerin um weitere Tyrannen-Co-Ops kümmern. Schüleraustauschprogramme der sächsischen Jugend mit Pjöngjang wären ein Anfang, ein freiwilliges asoziales Jahr (FaJ) in Damaskus, man muss halt Ideen haben! Aber das ist dann ja nicht mehr unsere Sache.
Bei genauerem Hinsehen muss ich mir allerdings eingestehen, dass ich als Weltenplaner noch weniger tauge als der kleine Österreicher und sein fleißiger Architekt: Beinah hätte ich übersehen, dass ich beim Putindeal mein geliebtes Charlottenburg mitverschachern würde. Kleiner Schönheitsfehler in einem sonst vortrefflichen Plan! West-Berlin liegt irritierenderweise in Ost-Germany. Eine entsetzliche Vorstellung, auf dem Straßenschild am Kurfürstendamm Курфюрстендамм lesen zu müssen.
Schickt dieses Sonntagskind an alle eure Freundinnen und Freunde im Osten. Sagt ihnen, ich habe es nicht so gemeint.
Es ist nämlich so, dass ich es liebe, in Deutschland zu leben. Ich hatte zwar auch schon Ärger mit der Justiz und musste mich in jungen Jahren vor ekligen Polizisten ausziehen, die nachschauen wollten, ob ich irgendwo in mir drin Drogen versteckt halte. Auch die unnachgiebige Härte der Gerichtsvollzieherin lernte ich kennen, aber: ich kann hier machen, was ich will – und das spüre ich jeden Tag. Im Notfall, sollte ich pleite sein, muss ich nicht in die Fabrik schuften gehen, sondern bleibe mit Bürgergeld über Wasser, um in den schlechten Zeiten dafür sorgen zu können, dass sie wieder besser werden. Ich bin ein Begünstigter dieser Gesellschaft, dafür zahle ich gerne Steuern.
Ich finde, das läuft ganz gut hier, verglichen mit anderen Ländern. Wir haben am Wannsee zwar dieses Funkloch, und viel zu oft vergisst der Postbote, den Benachrichtigungsschein in den Briefkasten zu werfen, aber das mit der Menschenwürde ist hier kein Blabla. Es sei denn, du wohnst in Berlin und brauchst einen neuen Personalausweis. Dann kannst du drei Monate auf einen Termin warten, in einem Bürgeramt am anderen Ende der Stadt. Und wehe, du kommst eine Minute zu spät oder hast kein Passbild dabei, dann kannst du dir deine Menschenwürde sonstwohin stecken. Da nützt es auch nichts, wenn du Privatpatient bist. Das könnte Sahra Wagenknecht gefallen.
Neu erfundene Wörter im 146. Sonntagskind: Wessimove, Schmuddelbuchstaben, Zarenfeeling, Freiwilliges asoziales Jahr (FaJ), Ost-Germany.
Sonntagskind bleibt gratis. Trotzdem freue ich mich über jedes Glas Weißwein, das ich spendenfinanziert genieße!
Ich freue mich über ein ❤️, das schenkt diesem Text Sichtbarkeit – danke!
Nachtrag: Der Tagesspiegel informiert mich gerade über seinen Newsletter, der der These „Der Osten wählt rechts” auf den Grund gehen will. Hier kann man ihn beziehen.
Wiedermal genial. Habe es an einige Freunde geschickt. Gruß Ute
Ich mag rothaarige Frauen aus Jena. Dresden ist auch sehr schön. Leipzig. Mecklenburger Seenplatte. Alle Inseln. Irgendwie schöner als bei uns Wessis. Aber dafür würde ich nicht russisch lernen, dafür bin ich zufrieden mit meinem jetzigen Vokabular. Genießen wir den Wein so lange er noch fließt:)