Waste your money – free your mind
Neues aus der Unterwelt
Ich habe schon alles. Wahrscheinlich bin ich deswegen so ein miserabler Händler, mir fehlt der Need-Faktor.
Große Summen, verehrte Lesende, haben Gravitation. Heute soll es um Geld gehen. Um Lust und Verlust. Und um eine Geschichte, die ein kleines literarisches Mahnmal sein kann. Einen herrlichen dritten Advent wünsche ich,
Euer Mark
Ich hatte mal einen Steuerberater mit einem gewissen Golfclubhabitus, der mir nahelegte, in die private Krankenversicherung zu wechseln. Er überzeugte mich von der glänzenden Entwicklung meiner Karriere und malte mir den Horror aus, als Kassenpatient den Beinbruch vom Hospital-Hausmeister geschient zu bekommen. Im zugigen Krankenhausflur, in den mich eine borderlinige Pflegerin hineingeparkt hat, die meinen Körper nach verkaufbaren Organen absucht.
Als Privatpatient, so der Steuerberater, würde ich von Nobelpreisträgern operiert und hätte anschließend erotische Brieffreundschaften mit reizenden Nachtschwestern mit 1er-Abitur. Kurz, er hatte mich überzeugt, ich war dann Privatpatient.
Die ungesunde Krankenkasse
Irgendwann konnte ich die Beiträge nicht mehr zahlen, ausdauernde Champagnerinvestitionen erwiesen sich im Nachhinein als ungute Geldanlage. Intelligent wie ich war, schlussfolgerte ich: Wer nicht zahlt, ist nicht versichert. Nach einigen Jahren aber präsentierte mir das Unternehmen eine schockierende fünfstellige Summe inkl. Zahlungsaufforderung. Die Schwerkraft dieser Forderung zog die Buchhalter mehrerer Anwaltskanzleien und Gerichte an, die den absurd hohen Betrag in wenigen Monaten zu verdoppeln imstande waren.
Degrowth im Portemonnaie
Ich frage mich, ob es für dieses besondere Talent von mir einen Markt gibt. Sollte ich ein Sachbuch schreiben? „Insolvent in 14 Tagen – das Abenteuer Großzügigkeit“. Denkbar sind auch Seminare: „Economic Detox – Loslassen lernen durch Free Spending“. Ich könnte eine Online-Akademie zur Befreiung vom Diktat des materiellen Überfluss’ gründen: „Waste your money – free your mind“. Doch was mache ich dann mit dem ganzen Geld, das mir hintergeworfen wird? Ich habe doch schon alles – und alles andere denke ich mir aus.
Die folgende Geschichte aber ist wahr:
Einmal sprach mich ein Nachbar an, er habe eine sehr schöne Trompete zu verkaufen. Der Nachbar war, sagen wir es wertungsfrei, ein Unternehmer mit eigenem Juweliergeschäft, ein freundlicher Mann. Trotzdem hatte er etwas an sich, das ältere Damen dazu gebracht hat, in seiner Nähe ihre Handtaschen etwas fester zu halten.
Inkassoschleifen
Manchmal saßen in seinem Laden Gestalten, denen ich zutraute, überzeugende Inkassodienstleister bei hartnäckigen Schuldnern zu sein. Die Trompete, meinte der Nachbar, hätte ihn dreihundert Schleifen, so sagte er, gekostet, zweihundert wolle er verdienen, für fünfhundert gehört sie dir, mein Freund, sagte er.
Her mit dem Horn
Tolle Trompete, dachte ich, sie ist sicher viel mehr wert. Um die Ecke war die Werkstatt des berühmten Instrumentenbauers Meister Lätzsch, der von Posaunisten aus aller Welt aufgesucht wird. Ich schuldete ihm noch etwas Geld, weil er mir mal eine Kontrabasstuba gegeben hatte, die ich abbezahlte. Die feine Trompete würde er bestimmt in Zahlung nehmen. Also her mit dem Horn, lieber Nachbar. Ich war pleite, die 500 Schleifen musste ich mir leihen.
Die erblassende Koryphäe
Meister Lätzsch wurde blass beim Anblick des goldglänzenden Stücks. Wahrscheinlich erkennt er gerade ein besonders seltenes Luxusinstrument, die blaue Mauritius der Blechblasinstrumente, dachte ich freudestrahlend. Wann hat man schon die Gelegenheit, einen Kenner zu beeindrucken! Eine Stradivari der Trompeten musste das sein, so etwas Feines hatte der Meister gewiss schon lange nicht gesehen. Jetzt hielt er sie vorsichtig in den Händen, die seltene Trompete mit der Zauberaura. Anstatt mir zu danken, dass ich ihm ein solches Edelhorn vorbeibringe, gab er mir mit den nötigsten Worten einen Zettel. Darauf die Telephonnummer eines berühmten Trompeters, der in der Stadt zu Gast ist und in der Nacht zuvor bestohlen wurde.

Der Preis der Gerechtigkeit: 500 Schleifen
Der Klassikstar bekam von mir sein Instrument zurück. Er war voller Adrenalin. Er tobte, von Vergeltungsabsicht erfüllt, wollte natürlich wissen, woher ich sein Goldstück hatte und den Dieb stellen. Dass ich es in bester Absicht gekauft hatte, löste in ihm leider nicht den Impuls aus, sich erkenntlich zu zeigen und meinen Verlust zu erstatten.

Der seriöse Juwelier
Ich ging zum Nachbarn, der sagte mir, er hätte das Instrument ganz normal von jemandem gekauft, könne sich aber nicht mehr erinnern, von wem jetzt genau. Aber dass es gestohlen wurde, dafür kann er ja nichts, da hätte ich jetzt Pech gehabt. Er machte außerdem deutlich, dass er es wenig unterhaltsam findet, wenn der aufgebrachte Trompeter in seinem Laden auftaucht, dem dann neugierige Kriminalbeamte folgen. Die Inkassojungs guckten ernst. Die Polizei tauchte natürlich bei mir auf. Ich verschwieg ihnen aus Rücksicht auf meine Gesundheit die kostspieligen Kontakte ins Verbrechermilieu.
Neu erfundene Wörter in diesem Sonntagskind:
Need-Faktor, Golfclubhabitus, Hospitalhausmeister, Champagnerinvestition, Zauberaura.
Aus der Kajüte der Erkenntnis:
I. Manche Investitionen bringen keine Rendite, aber eine gute Geschichte.
II. Es gibt Dinge, die unbezahlbar sind – und andere, die man besser nie bezahlt hätte.
III. Verlust ist der Preis für Persönlichkeitswachstum.
Ich bin Mark Scheibe, der freundliche Snob, der mit seinem Steinway-Flügel auf einem Hausboot lebt – ignorierter Künstler von Weltrang. Ein Geheimtipp bin ich als Opernkomponist und Jazzsänger. Auch als Schlagertexter, Astrologe und Marathonläufer halte ich mich aus Anstandsgründen dem Glitzerlicht der öffentlichen Bewunderung fern. Mit meiner wöchentlichen Kolumne „Sonntagskind” versuche ich mich vor dem natürlichen Andrang auf mein stetig wachsendes literarisches Oeuvre zu verstecken.




