„Guten Tag, ich hätte gern zwei Karten für das große Symphoniekonzert!“ – „Gehen Sie doch lieber in den Liederabend. Und kaufen Sie nur eine Karte. Weniger ist mehr!“ Wer behauptet, weniger sei mehr, hält sich meistens für besonders schlau. Als ob Reduktion prinzipiell Vorteile hätte. Wäre weniger mehr, würde es wärmer, wenn man die Heizung runterdreht. Ein genialer Gedanke! Vielleicht gibt es Ingenieure mit dialektischer Begabung, die das hinbekommen. Wäre weniger mehr, wären Pfennigfuchser Lebenskünstler.
Minimal Music wäre große Kunst. Der Architekt Mies van der Rohe hat den Satz „less is more“ zu seinem Lebensmotto erkoren und schon in den 1930er Jahren Glas-und Betonklötze gebaut. Mehrere Generationen Architekten legitimieren seitdem ihre gestalterische Einfallslosigkeit mit der stilistischen Verwandtschaft zu dem berühmten Modernisten. Zum Glück bekommen die Schnörkelfeinde und Überflussverächter keine Aufträge, das Reich der Phantasie mit ihren kunstlosen Klötzen auszustatten. Die inneren Räume leben doch vom Überfluss.
Der Mangel an Mangel: das große Ideal im Schlaraffenland. Genießen steht dort über allem, harte Arbeit und Fleiß kursieren im Ranking der Tugenden ganz unten. Hätten wir Menschen nicht soviel Phantasie, hätte Geld nicht diesen enormen Stellenwert: man braucht eigentlich ein Übermaß an Vorstellungskraft, um sich rund um den Globus darauf zu einigen, dass wir mit bedrucktem Papier einen großen Teil unserer Möglichkeiten im Leben definieren.
Die Philosophin Gertrude Stein resümierte am Ende ihres bewegten Lebens: „Ich war reich und ich war arm. Es ist besser, reich zu sein.“, Oscar Wilde pointiert die gleiche Erkenntnis so: „Als ich klein war, glaubte ich, Geld sei das Wichtigste im Leben. Heute, da ich alt bin, weiß ich: Es stimmt.“
Im Sommer war ich in den Bergen. Ich saß auf einem Felsvorsprung und schaute über die Täler. Auf Baumkronenensembles unter Wolkenbegleitung. Sah Greifvögel im Himmel gleiten. Hörte Schmelzwasser in Schluchten stürzen, strich mit der Hand über samtweiches Moos. Roch den Duft von Gräsern und Blüten. Ich sah knorrige Kiefern, die andere Nadelbäume umarmen, rankende Schlingpflanzen, die Jahrhunderte alte Zirben bewachsen. Alpenrosen, Primeln und Wacholder. Ich lauschte dem Singen der Alpendohle zum Rhythmus des Baumrinden zerhämmernden Spechts. Das war ein beglückendes vielsinniges Erlebnis. Sowas kriegt man nicht im Smartphone. Sonst wär weniger wirklich mehr.