Liebe Lesende, Geneigte, Neugierige, Freundinnen, Gefährten und Begleiter,
vor ziemlich genau 12 Monaten habe ich mir fürs folgende Jahr vorgenommen, den Kalender nicht so dichtzuballern wie immer. Ich wollte wieder Zeit haben, spontan mit Freunden einen Kaffee zu trinken, einfach mal ein paar hundert Kilometer zu fahren, um eine Freundin wiederzusehen. Dafür habe ich vorsätzlich blanke Stellen im Kalender gelassen, immer nach den Projekten ein paar Tage. Das hat gut funktioniert. Ich war mit Christoph auf dem Wannsee segeln, habe mit Stephanie Schönberg gehört, Flo und Anna auf der Straße getroffen und saß dann mit ihnen an ihrem Küchentisch.
Das klingt banal, hat aber sehr gut getan. Gemeinsame Zeit erleben statt immer wieder “leider keine Zeit” sagen. Wenn ich in der kommenden Woche wieder drüber nachdenke, was im nächsten Jahr anders wird, weiß ich: das bleibt! Euch wünsche ich intensive Weihnachten und dass Ihr die Zeit zwischen den Jahren für Euch habt und genießt.
Zwischen den Jahren. Die beste Zeit der Welt. Das Niemandsland des Kalenders, die allgemeine Schonzeit. Keiner traut sich, anzurufen und zu nerven. Unvorstellbar, dass ein zu Freundlichkeit verpflichteter Lohnsklave aus dem Vodafone-Callcenter meine Nummer wählt, um mir Treuekundenschmu ins Ohr zu penetrieren. Die Consultants und Controller schweigen pietätvoll. Ansonsten verwandeln selbstbewusste BWLer die 1. Klasse des ICE immer gern in ein Großraumbüro. Zur Weihnachtszeit blökt niemand „Herr Reimann, ich grüße Sie!“ durch die Teppichstille des Ruhebereichs. Kein Immobilienmakler tippelt mit seinen Langfingern den Blues der Excel-Tabelle in sein Windows-Notebook.
Sogar der Zugbegleiter buttert seine Ansagen mit einem sentimentalen Timbre. Leise rieselt der Schneeregen draußen. Drinnen kommt man auf einmal ganz leichtgängig ins Gespräch. Als ob man sich in diesen besonderen Tagen der Gewissheit gewahr wird, dass wir alle Menschen sind. Dass uns mehr eint als uns trennt. Uns dämmert, dass man miteinander reden kann, wenn man schon so dicht beieinander sitzt. Wir haben zwar meist alle gut mit uns selbst zu tun, aber Begegnungen erweitern ja den Horizont. „Social Media“ behauptet zwar, genau das zu tun. Mittlerweile ist uns allen aber schon aufgefallen, dass es besser „Lonely Media“ heißen sollte, wenn wir vornübergebeugt mit hängenden Gesichtern das Smartphone um Dopamininjektionen anbetteln.
Die übers Jahr gewachsene urbane Härte fällt von uns ab, wenn Bing Crosby im Radio „White Christmas“ croont. Wenn uns der Sound von Sleigh Bells in die Kaminstimmung bimmelt, die unsere Tränen löst. Wenn wir uns gestatten, auszuschlafen. Wenn Effizienz wieder zum Fremdwort wird und uns Selbstoptimierung als der Riesen-Unfug erscheint, über den unsere Großeltern nur lächelnd den Kopf schütteln würden.
Ich muss an die berührende Weihnachtsgeschichte aus dem 1. Weltkrieg denken, als feindliche Soldaten 1914 beschlossen, für die Dauer einer Weihnachtsfeier zu vergessen, weswegen sie dort in den Schützengräben lagen. Sie beschlossen, einander nicht zu töten, sondern miteinander zu feiern. Ausgelöst wurde die kollektive Barmherzigkeit von Päckchen, die in den Frontgräben der deutschen wie der britischen Seite verteilt wurden. Schokolade war darin, Postkarten mit wärmenden Worten, Tabak und Schnaps. Dann wurde gesungen und gescherzt. Feinde wurden Freunde, weil sie erkannten, dass sie einander gleichen.
Möge dieses „Dazwischen“ eine Speisekammer werden, die uns das ganze Jahr über nährt.
Fröhliche Weihnachten, euer Mark
Zwischen den Jahren ist auch zwischen den Sonntagskind-Ausgaben. Als disziplinfetischistischer Zwangscharakter lasse ich keinen Sonntag aus. Mit gnadenloser Zuverlässigkeit produziere ich jeden Sonntag eine zärtlich gemeinte Kolumne zur kunstvollen Bereicherung eurer Frühstückszeremonie. Kostenlos, aus Glück über mein Leben, in dem mir so viel schon geschenkt wurde. Zur Inspiration gehe ich dann in die Oper. Hier in meiner Loge in Graz. Teurer Platz! Ich sollte mein Geld nicht wie ein sorgloser Fürst aus dem Fenster werfen! Wer mich in diesem unvernünftigen Lebenswandel bremsen will, spendet nicht eine Kleinigkeit hier mit dem PayPal-Button:
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Frohe Weihnachten, Mark! Und danke für deine tollen Kolumnen! Ich freue mich, wenn wir uns auch mal wieder sehen! Fast hätte ich mich Anfang Dezember gemeldet. Da ließ Ave ihr 2. Knie machen und ich hatte kurz mit dem Gedanken gespielt, Dich anzurufen und zu fragen, ob wir ihr wieder zusammen einen Besuch abstatten. (Allerdings habe ich es dann selbst nicht hin geschafft) Next time!
Alles Liebe & bis bald, M.
Lieber Mark wieder so ein lesenswerter denkwürdiger Sonntagskommentar.Danke dafuer.Ich Wuensche dir eine entspannte Zeit und bin gespannt w o du diese Zeit verbringst.HB Berlin Graz??? Wenn Helga aus Bruessel kommt werden wir wieder tratschen wie es sich fuer guteFreundinnen gehoert: ueber unsere Soehne,Tochter und Enkeln.Bei meinen bin ich gerade in dem verregneten Berlin.Weihnachten erträgt frau vieles, Hauptsache Familie.Liebe Grüsse Jutta