In der Berliner Morgenpost vom vergangenen Samstag spricht mir Jörg Thadeusz aus der Seele1, wenn er neidisch über die dänischen und estischen Staatschefinnen spricht – und ihr klares, leidenschaftliche Bekenntnis zu Europa und ihrer Unterstützung für die Ukraine.
Es gibt einen legendären Sesamstraßensketch mit Ernie & Bert: Ernie will baden, Bert ist wie immer genervt, weil er weiß, dass Ernie Unruhe in Berts Langweilerleben bringt. Denn Ernie geht nicht einfach normal in die Badewanne, er nimmt außer seinem Quietscheentchen auch eine Taschenlampe mit, einen Regenschirm und einen Ball. Das macht Bert fertig. Ernie erklärt, dass er die Taschenlampe braucht, falls der Strom ausfällt: dann soll sich das Quietscheentchen nicht im Dunkeln fürchten müssen. Außerdem könnte es sein, dass es im Badezimmer durchs Dach regnet, dann soll das Quietscheentchen nicht nass werden, zumindest nicht von oben. Um für die Eventualität vorbereitet zu sein, dass jemand vorbeikommt, um sich einen Ball auszuleihen, nimmt Ernie diesen mit und hält gutgelaunt aus, dass Bert sämtliche Synapsen durchknallen.
Es dauert nicht lang, da wird es schlagartig dunkel, im Badezimmer fällt der Regen und ein Fremder spaziert herein, dem für ein Fußballspiel der Ball fehlt. Bert ist gefangen in seiner aufgeräumten Vorstellungswelt, in der die Naturgesetze gelten. Er weiß, welche ungeheure Energieverschwendung es ist, sich auf sämtliche Unwahrscheinlichkeiten des Lebens vorzubereiten. Und er steht am Ende als der Dumme da.
In meiner militärischen Naivität als ahnungsloser Sofageneral wünsche ich mir, unser Kanzler wäre mehr Ernie, weniger Bert: „Hier sind Panzer und Raketen, liebe Ukraine, zwingt damit den Unmenschen Putin in die Knie und dann ins Gefängnis, damit das Morden ein Ende hat. Nur weil wir selbst Angst vor dem bösen Terrormilliardär haben, der seine Gegner vergiftet, wegsperrt, zu Tode foltert oder vom Himmel schießt, lassen wir Euch nicht im Stich. Wir helfen Euch – und weil es gerade nicht anders geht, mit tödlichen Waffen. Denn Ihr seid nicht schuld an diesem Horror.“
Ich schaue zu, wie zwei Flugstunden weiter östlich gemetzelt, vergewaltigt und hingerichtet wird. Würde ich selbst hinfahren und ein Gewehr in die Hand nehmen? Auf keinen Fall! Das Zögern unserer Regierung erinnert mich schmerzlich an mein eigenes, ängstliches Zaudern: an einen obdachlosen Bekannten, den ich nicht bei mir übernachten ließ. An erloschene Liebesbeziehungen, die ich weiterlaufen ließ, weil ich nicht den Mut hatte, ein Ende zu setzen. Ans Sich-nicht-Einmischen, wenn auf der Straße jemand verprügelt wird.
Ich hoffe, dass meinem schmerzhaften Gefühl eine politische Strategie gegenübersteht, die sich schließlich als die richtige erweist. Dass das Morden aufhört. Dass das, was jetzt zögerlich wirkt, am Ende klug ist. Und menschlich.
Hier der Artikel:
Wichtig ist es, dass wir Meinungen haben, aber uns nicht gegenseitig vor den Kopf werfen, was denn getan werden müsse, um eben das Leiden und Morden zu beenden. Das tun wir hier ja auch gar nicht. Dann kommt es auf die Perspektive an. Sind wird in irgendeiner Form persönlich Betroffene, würde fast jeder von uns mit Vergeltung und den Wunsch militärisch, brutal zurückzuschlagen liebäugeln. Als nicht Betroffene versuchen wir die Wichtigkeit von Diplomatie, von Frieden schaffen nach vorn zu treiben. Gewalt verursacht ja immer Gewalt. Auch wenn sie mal ein, zwei Generationen ruht. Aber dann wird versucht Vergeltung im Namen der Vorfahren auszuüben. Das scheint legitim im Angesicht des Geschehenen. Und es ist offensichtlich ein immerwährender Kreislauf. Da steht die Frage im Raum: Wie wird dieser Kreislauf - in welchem WeltKonflikt auch immer durchbrochen. Sterben und leiden noch mehr wenn nicht zurückgeschossen und -zerstoert wird? Wenn man mittendrin ist - ich weiß es nicht - denkt man im Todesgraben wohl lieber zwei Tote als nur mich allein. Oder andersrum, wenn man sich als Pazifist von Idealen gezwungen an der Waffe sieht. Werden die Mittel der Zerstörung und des Todes zerstörerischer wenn sich kein schneller "Sieg" (oder was auch immer verlangt wird) einstellt. Es gibt Zugänge zu Waffensystemen deren Ausmaß man sich nicht vorstellen mag, wo auch immer sie aus welchen Gründen zünden. In der Begründung "Vorsichtig mit der Aufrüstung" bin ich ein Feigling. Weil ich zu wenig Weitsicht, umfassendes Wissen und Intellekt habe es repräsentativ zu durchdringen. Da bleibe ich lieber bei der Meinung "vielleicht so - vielleicht so". Auch deshalb, weil ich keinen Meinungskonflikt haben möchte. Aber, die von vielen angenommene Meinung, die meisten Waffenlieferungs-, und Aufrüstungsgegner hätten um sich selbst und "ihr" Land Angst, teile ich subjektiv nicht. Ich kann mir vorstellen, dass mehr schlichtweg traurig und nicht verängstigt sind. Sicher würde die Mehrheit auch ihr Land hier verteidigen und mit allen Mitteln versuchen es aufrecht zu erhalten. Militärisch und mittels friedlicherer Methoden. Nicht Angst, sondern Frustration lässt zweifeln an wachsend militärischen Interventionen. Es sind verdammt schwierige Entscheidungen, bei denen es täglich um Leben und Tod geht, die von den Regierungen und von uns indirekt eine Haltung einfordern. Zu geben ohne Rücksicht auf Verluste wird zunächst immer befriedigender, willkommener, richtiger sein. Aber ist es das wirklich und hört das Leiden dadurch auf, gibt es zumindest eine große Chance dazu? Wer kann das wie plausibel darlegen? Im Kleinen sind diese Momententscheidungen, in denen man plötzlich steckt schon hart. Unerwartet zu einer solchen Entscheidung gedrängt ist es wohl fast immer "nur' das Bauchgefühl, das uns entscheiden lässt. Ich kam heute nach Mitternacht nach Hause, nachdem ich die Verantwortung von zwei inklusiven Theatergruppen innehatten, die kurzfristig eingeladen waren Beiträge zur großen BenefizVeranstaltung "Nie wieder ist jetzt" im Staatstheater zu performen. Alle Utensilien, Kostüm, Catering etc. verräumt, den letzten Beteiligten in seiner Wohngruppe abgeliefert stehe ich mit Auto auf unserer Einfahrt und es klopft (um 00:50) an die Fensterscheibe. Den Gedanken eines Überfalls verdrängte ich zwanghaft schnell gegen den, dass vielleicht jemand Hilfe bräuchte. Zudem sah ich im Augenwinkel einen Mensch mit dunkler Hautfarbe. Das erwähne ich jetzt nur angesichts der Tatsache, dass ich gerade sehr aktiv zu einer Veranstaltung beigetragen habe, die sich eben gegen die Narrative richtete gedanklich zu sortieren. Natürlich öffnete ich direkt und war beinahe positiv von meinem Gehirn überrascht. Vielleicht war da ein halber Erwartungsgedanke gleich einen Pistolenlauf sonstwo zu spüren, aber nicht Angst. Die schwarze Frau, die da stand sprach aber ziemlich normal und fragte, ob ich nicht in die Stadt fahren würde, da kein Bus mehr ginge. Ich kuerze hier etwas ab. Sie schien ein Problem zu haben, auch etwas verzweifelt zu sein aber in keiner akuten Notlage zu sein. Wir wissen hier aber auch alle, denen, die wirklich akute Hilfe brauchen, sieht man das eben nicht direkt an. Und sie hat sich - warum auch immer - überwunden an einem fremden Wagen zu klopfen. Mein Gehirn musste also mit jedem Satz den sie gleich sagte, eine Entscheidung treffen. Und die Angst, die da herrscht ist weniger die, dass mir etwas geschehen könnte, als viel
mehr, dass mir etwas geschieht, und ich bin selbst schuld, weil ich mich sehr wohl einfach distanzieren hätte können. Ich bot ihr schließlich an, sie nach Hause zu bringen. Da wo sie hin musste, musste sie letzten Endes aber nur ganz dringend was abholen und dann doch wieder zu uns nebenan. Sie war extrem dankbar und erleichtert , dass ich ihr meinen "Taxiservice" angeboten und auch via Rückfahrt vollendet hatte, wollte etwas bezahlen und wünschte eine gute Nacht. Wie sehr ich nun irgendetwas "Gutes" oder "Schlechtes" getan habe sei dahingestellt. Zumindest in der gegenwärtigen Nacht in der heimischen Stadt wäre die größte gerechtfertigte Angst, die vor den Streifenwagen gewesen. Es schien letzten Endes, auch odormäßig relativ klar, dass ich da wohl einiges an verbotenen Kurierdienstleistungen vollbracht hatte. Mit sehr gutem Willen und Hoffnung der Einmaligkeit. ....und auch das ist wieder eine Ablenkung der grassierenden Zustände in einigen Ländern die weltweite Antworten und Handlungen erfordern. Wir sind ja nicht direkt "schuld" was sein wird, sondern die Entscheidungsträger und -traegerinnen unserer Regierungen. Aber gut, dass die Themen da sind, das wir nicht umhin können in alle Wege und Richtungen zu denken, (uns) zu informieren, mitzufuehlen und ganz, ganz dringend und wenn's geht auch aktiv (Aus)wege zu suchen und zu zeigen. Was auch immer diese sein mögen.
Das hast Du wunderbar geschrieben.......das Ganze Dilemma offenbart sich hier...Was hatten wir mal für wunderbare firedliche Zeiten und jetzt....müssen wir für Aufrüstung plädieren, macht mich einfach irre. Hatte im erstem Furor ob des brutalen Überfalls schon mal überlegt, dorthin zu fahren, und eine Knarre in die Hand zu nehmen um Putins Schergen abzuwehren.Jedoch da schieße ich dann auch auf verängstigte, getriebene, arme Jungs, denen man einen Teller voll übler Lügen aufgetischt hat. Und um der Wahrheit zu genügen....in unserem Wohnzimmer ist es doch etwas wärmer.---Wie hieß es damals beim Bund.."Wachsamkeit ist der Preis der Freiheit.---