Mit 20 habe ich in einer Reggaeband Keyboard gespielt. Der Sänger und Namensgeber kam aus Jamaika. Das Besondere an ihm war, dass er pfiff. In fast jedem seiner Lieder erfreute er das hypnotisiert wirkende Publikum mit einer trancebegünstigenden Pfeifeinlage. Weil es dem Sänger nicht an Bescheidenheit mangelte, stand auf den Plakaten unter dem Bild des in einer Rauchschwade grinsenden Rastafari „The whistling genius of music.“
Glückliches Glimmen
Meine Aufgabe als Keyboarder war überschaubar. Der Meister erwartete von mir, dass ich auf den Schlägen 2 und 4 im Viervierteltakt den richtigen Akkord spielte. Es waren nicht viele Akkorde, selten mehr als zwei. Ich wunderte mich, dass das reichte, aber so war es. Vor unseren Auftritten standen wir im Kreis, der Meister reichte einen Spliff herum. Das ist soetwas wie ein Joint, nur viel kleiner. Pures Marihuana, in Papier gewickelt. Jeder aus der Band nahm einen tiefen Lungenzug, dann war der Spliff aufgeraucht. Eine Minute später gingen wir auf die Bühne. Im glücklichen Glimmen eines leichten Rausches schaute ich beseelt in die wippende Menge und war mit meinen zwei Akkorden völlig zufrieden. Und außerdem damit komplett ausgelastet.
Ein 3D-Feuerwerk unter dem Lusthimmel
Die Musik auf der Bühne schenkte mir einen gewissen Magnetismus und warf mich immer wieder in liebende Arme und lustvolle Umschlingungen. Im berauschenden Nebel der Cannabispflanze ereigneten sich sinnliche Exzesse – Berührungen und Küsse waren auch ohne irgendwas schon ein 3D-Feuerwerk unter dem Lusthimmel. Hatte man aber einen durchgezogen, stand der Horizont in bunten, sprühenden Flammen.
In punkto Nachhaltigkeit war das Pflanzendope allerdings schon früher ein Flop. Die brennende Aussicht stand der Erinnerung am nächsten Tag nur als vergilbtes Schwarzweißphoto zur Verfügung.
High mit Gottes Segen
Beim Rastafarikult ist der Joint Teil des spirituellen Ritus. Buddha hat sich seine Weisheit angeblich innerhalb von sechs konsequenten Jahren angekifft. Im Hinduismus gilt Cannabis als Göttergabe: Shiva purzelten ständig Hanfsamen aus den Dreadlocks, die Affen aßen diese und wurden so zu Menschen, heißt es in einer nepalesischen Legende. Leider kann sich heute kaum noch ein Mensch an das Affenleben erinnern, aber das ist wohl göttlicher Wille – die Reinkarnation verweigert ihre Erinnerbarkeit – ein heiliger Schlag ins Gesicht der alles kontrollieren wollenden Konsumgesellschaft.
Fressflash nach Marihuanakonsum (Abbildung nachgestellt) Foto: Lola S.
Vor ein paar Jahren war ich mit meiner erwachsenen Tochter in Amsterdam. Selbstverständlich kauften wir uns Gras. Ich baute uns einen kleinen Reggaebandspliff, dann teilten wir uns easy angekifft ein paar Ohrstöpsel und hörten das Sgt.-Pepper’s-Album von The Beatles, während wir an den Grachten entlangschwebten. „Morgen bau ich uns mal einen”, sagte meine Tochter.
Date mit dem Drogenpapst
Zufällig war eine Freundin von ihr auch in Amsterdam, sie kam auf unser Air-BnB-Hausboot, meine Tochter rollte eine massive Riesentüte. Als alter Hase zeigte ich den jungen Damen, wie man richtig kifft, wie ich es in den 1980ern gelernt habe. Ich inhalierte mehrmals tief und behielt den Rauch sehr lang bei mir, bevor ich ihn genüsslich wieder in die herbstliche Nachtluft blies. Sie waren schließlich Rauschnovizinnen, verglichen mit mir. Was für ein Privileg, dass die beiden Abiturientinnen jetzt mit einem wahren Drogenpapst die Tüte teilen durften! Ich sah in ihren Augen, dass sie von der Magie meiner bewusstseinserweiternden Erfahrungen jetzt schon profitierten. Ich fühlte mich wie ein Indianerhäuptling und war in Spendierlaune, meine Erkenntnise zu teilen und von meinem high level zu berichten. Sie würden fasziniert an meinen Lippen hängen. Gleich würde ich kryptische Genialitäten formulieren und meine Tochter und ihre Freundin an einer unvergesslichen geistig-seelischen Rauscherfahrung teilhaben lassen. Sätze wie „Wenn dein Warum ein tosender Ozean ist, kann dein Wie kein kleines Ruderboot sein.” würde ich gelassen droppen und für Erkenntnisexplosionen in den jungen Gehirnen meiner Elevinnen sorgen. Ich, ihr Guide im psychedelischen Geheimreich würde sie in höhere Bewusstseinsebenen einführen.
Chips und Schokolade
„Papi, ist alles in Ordnung?” hörte ich meine Tochter noch fragen, dann spürte ich meinen Körper nicht und konnte nicht mal mehr einen Finger heben. Ich fiel in Ohnmacht. Von Todesangst und Atemnot wurde ich wieder wach, schnappte wie ein halbtoter Karpfen nach Luft und fürchtete zu sterben. Meine Tochter telephonierte währenddessen mit dem Notarzt. Der war nicht weiter beunruhigt, diagnostizierte meinen Todeskampf als gängiges Touristenphänomen und empfahl Chips und Schokolade. Hätte fast geklappt, die junge Generation mit Drogenweisheit zu beeindrucken.
Demeter-Marihuana im Biomarkt
Ich habe ein kleines Vermögen in einen Cannabis-ETF investiert. Da tut sich zur Zeit noch nicht viel. Wenn es im Biomarkt aber demnächst Demeter-Marihuana zu kaufen gibt, gehen die Aktienkurse durch die Decke. Wenn die Apothekerin statt Taschentüchern eine kleine Probe des neuen Brandenburger Vollwertgras ins Einkaufstütchen steckt, ist das nur gut für die Wirtschaft. Die Dealer aus dem Görlitzer Park können dann auf Personalberater umschulen oder in die Werbung gehen, weil keiner mehr ihr vergiftetes Bleigras kauft und Gratispsychosen bekommt. Aber auch, wenn die Joints über den Supermarkttresen gehen, muss jeder selbst darauf achten, sich nicht in den Wahnsinn zu kiffen. Ich bin gerade noch rechtzeitig in Ohnmacht gefallen.
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