Die ZEIT findet in dieser Woche heraus, dass nirgendwo so gut gefrühstückt wird wie in Deutschland.1 Ist es da ein Wunder, dass dieses schöne Fleckchen Erde zwischen wortkarger Küste und schwelgerischem Bergland eine entsprechende literarische Gattung hervorbringt? Beflankt von französischer Eleganz und slawischer Melancholie verkünde ich stolz, der einzige Autor der Gattung „Frühstücksliteratur“ zu sein!
Da fällt mir auf, dass ich mich in 140 sonntäglichen Kolumnen nicht anständig vorgestellt habe. Entweder setze ich ganz robertoblancohaft voraus, das man mich kennt oder ich schummele mich mit inszenierter Bescheidenheit an der Frage „wer ist der Typ, der mir jede Woche diesen psychotischen Quatsch schickt?“ vorbei. In ein paar Wochen werde ich 56, jetzt muss Schluss sein mit solcher Ungenauigkeit.

Haft durch Freude
Ich bin Mark. Als Junge hatte ich Schwierigkeiten mit meinem Namen, die Leute haben mich nie verstanden, wenn ich meinen Vornamen nuschelte. Obwohl sich meine Eltern große Mühe gegeben haben, die ersten Jahre meines Lebens so zu gestalten, dass ich später nicht von einer „problematischen Kindheit“ sprechen muss. Bis sich mein Vater in spätpubertärem Überschwang zu Betrügereien verlocken ließ. Er verstand sich beruflich vor allem als spendabler Night-Club-Gast, da hatte er natürlich gewisse Ausgaben. Schwindel und Maskerade brachten ihn für eine Weile ins Gefängnis. Der Familienrat beschloss, mich mit der Wahrheit zu verschonen.
Well done, Sensemann
Aber: meine irritierte Seele spürte die Täuschung und erfand kreative Strategien, um vom Chaos in der Psyche abzulenken. So lernte ich rückwärts sprechen. Als 10-jähriger hatte ich also einen Vater hinter Gittern, aber eine von allen Konventionen befreite Sprache! Ich sprach einfach jedes Wort so, wie es rückwärts gelesen klingen würde. Aus einem Satz wie „Was für ein herrliches Leben!“ wurde dann: „Saw rüf nie sechilrreh Nebel!“ (Die Laute „ch“ und „sch“ wurden nicht umgedreht). Leider blieb ich als einziger aktiver Rückwärtssprecher in der Freien und Hansestadt Bremen ein einsamer Gelehrter, mein Talent war völlig unnötig. Frei nach Karl Valentin: Kunst macht zwar viel Arbeit, ist aber völlig nutzlos.2 Nutzlos fühlte sich wohl auch mein Vater ein paar Jahre nach seiner Haftentlassung. Zunächst hatte er ein glamouröses Postknastleben als geschickter Unternehmer inmitten der Frankfurter Schickeria aufgebaut, doch bald wurde ihm der Glanz der feinen Leute matt. Beim Hechtsprung in den Strudel des eigenen Abgrunds traf er den Tod, lud ihn auf ein paar Drinks ein und ließ ihn seinen Job machen. Da war ich 17.
Triathlon der Süchte
Zum Glück genoss ich als Einzelkind die ungeteilte Liebe und Aufmerksamkeit meiner Mutter. Sie musste mir schon früh als Publikum dienen und durfte sich bei jedem von mir verzapften Unfug fragen, wie sie nur einer so geheimnisvollen Künstlerpersönlichkeit das Leben schenken konnte.
So erschien es ihr auch ganz folgerichtig, dass ich kurz nach meinem 18. Geburtstag auf das Abitur verzichtete. Sie verstand, dass der Entfaltung meines Genies ein bürgerlicher Schulabschluss nur im Weg herumstehen würde. Auch, dass ich die folgenden Jahre mit einem Grenzerfahrungsexperiment verbringen würde, konnte sie nicht aus der Fassung bringen: ich ging die Wege meines Vaters nach und übertraf ihn sogar in den Gattungen des Rausches. Zusätzlich zum hohen Promilledauerpegel übte ich mich in der Disziplin des polytoxischen Iron Man: Korn, Kiffen, Koks. Pernod, Pilze, Puder. Hallus, Hasch und Horrortrips.
Komponieren – leicht gemacht
Wie durch ein Wunder habe ich Klavier spielen gelernt. Es fiel mir einfach in den Schoß. Dann habe ich mir Komponieren beigebracht, nach der Beethoven-Methode:
DIE BEETHOVEN-METHODE
Materialprüfung: Man nimmt alle 88 Töne, die es gibt und hört sich jeden einzelnen genau an.
Selektion: nur die besten Töne behalten, die restlichen aussortieren.
Gestaltung: Eine gute Reihenfolge finden, die Töne unter den Instrumenten des Orchesters gerecht aufteilen.
Daran halte ich mich heute noch. Wenn das alle machen würden, hätten wir nicht soviel Missklang in der Welt. Und keine langweilige Neoklassik.
Die längste Visitenkarte der Welt
Nach meinem Selbstversuch im Deliriumsegment „arbeitete” ich als Hotelbarpianist, Ballettrepetitor, produzierte Werbejingles und Playbacks für Tingeltangelshows, schrieb Aprés-Ski-Schlagertexte, Streichquartette für Theateraufführungen, moderierte Varietéshows, war Chorleiter und Kreativitätscoach für Führungskräfte, dirigierte mein eigenes Orchester und wurde sogar Musikdozent an einer Schauspielschule. Zwischendurch zog ich immer um. Irgendwann hatte ich genug vom aktiven Wohnen und ging ins Hotel.3 Für ein ganzes Jahr! Auf der Webseite des Hotels schrieb ich jeden Sonntag eine Kolumne. Obwohl sie noch nicht so hießen, waren das die ersten Sonntagskind-Ausgaben.
Jetzt ist natürlich die Frage, wie es weitergeht. Ich kann mir vorstellen, zeitgenössische Opern zu komponieren, nochmal ins Astrologiegeschäft einzusteigen oder Gags zu schreiben. Einen richtig guten habe ich mir schon ausgedacht, wollt Ihr ihn hören? Er geht so:
Wie zeigen sich Narzissten, dass sie romantische Gefühle füreinander empfinden? „Du liebst mich!” – „Du liebst mich mehr!”
Wenn sie sich richtig gerne haben, sagen sie sich das sogar beim Frühstück – und lächeln dabei wie Roberto Blanco.
Ich wünsche Euch einen herrlichen Sonntag,
Euer
Liste der neu erfundenen Wörter im 141. Sonntagskind: robertoblancohaft, Postknastleben
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Der Satz „Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit“ geht gar nicht auf Karl Valentin zurück, obwohl so viele Postkarten dies behaupten. Dieser Artikel klärt auf. (Sonntagskind, das Frühstücksmedium für Volksbildung in Fußnoten):
Im Hotel blieb ich ein Jahr lang. Für die Webseite des Hotels schrieb ich jeden Sonntag eine Kolumne. Obwohl sie noch nicht so hießen, waren das die ersten Sonntagskind-Ausgaben. Hier ist zum Beispiel eine besonders schöne Kolumne aus dem Hotel Art Nouveau in Berlin-Charlottenburg.
Über das Leben im Hotel drehte ich mit einigen Freundinnen und Freunden einen Film, dessen Schlüsselszene im Frühstückssaal der historischen Herberge spielt:
Wunderbar zu lesen , wie das Leben so passiert, en passant. Ich war ein zufälliger Zeuge einiger Deiner Dekaden.&..kann bezeugen : nix geschönt, nix gelogen,...also eine Bilderbuchkarriere, Chapeau und en chantee !!!
Muchas Gracias oder auch Saicargas Chum. Lese ich wirklich gerne. Erkenne mich wieder. Bin leider nicht so fit wie Du. Aber gelernt haben Sie mir das Klavier. Dann kam das "leben Nebeln" und jetzt der Sterbepreis für ein Dasein voller Schall und Rauch. Wir sind Alle von der Night Caf3 ki überhaupt Waschung Gehirne irgendwie - ach manche lernen nie, so wie Fruchtfleischfliegen *™°