Liebe Lesende,
seit zwei Jahren schreibe ich jetzt meine Sonntagskolumnen. Das Beste: dass Ihr sie lest. Dass ich Mails bekomme, die mich glauben lassen, dass meine Worte nicht im Nichts verhallen. Dass meine Kolumne zu lesen an manchem Frühstückstisch Ritual geworden ist: Natalie liest sie ihrem Freund beim Kaffee im Bett vor, Heidi und Richard teilen sie mit ihrer ganzen Familie an der reich gedeckten Tafel. Frau Neumann an der Kasse im Biomarkt sagt: „Ich freu mich aufs nächste Sonntagskind!“ – und Hannes schreibt mir fast jede Woche so phantasievoll und wortgewandt, dass ich nur darauf warte, dass er selbst einen regelmäßigen Text veröffentlicht. Diese Verbindungen fühlen sich gut an.
Ich hoffe, dass ich nichts entromantisiere, wenn ich zugebe, dass in jedem Sonntagskind mehrere Stunden Arbeit stecken.
Darum freue ich mich sehr, dass mein noch ganz frischer Entschluss, über PayPal Spenden anzunehmen, schon letzte Woche für Einige von Euch Anlass war, mir einen Obolus „in den Hut“ zu werfen – ich danke! Und kann beruhigen: diese Art von Zuwendung bedarf keiner Zurückhaltung. :-)
Aber jetzt viel Freude mit dem 108. Sonntagskind – ich freu mich, von Euch zu hören.
Euer Mark
Wer erkennt, welcher legendären Publikation ich das Design dieses Titels nachempfunden habe, ist herzlich eingeladen, sein Expertenwissen in einem Kommentar mitzuteilen. :-)
Ich klebe seit ewigen Minuten am Telephon. Warteschleife meiner Krankenkasse. Alle paar Sekunden erklärt mir eine männliche Stimme, die nah am Orgasmus zu sein scheint, alle Mitarbeitenden wären zur Zeit noch im Gespräch. Währenddessen pocht mir ein billiger Computerrhythmus eine unbarmherzige Musiksoße ins Ohr. Keine Chance, dem Beschallungsterror auszuweichen, ich muss ja dranbleiben. Ich spüre, wie diese Melodiesimulation mich körperlich schwächt.
Ob meine Krankenkasse weiß, was sie da tut? Wenn ich schon zum Hinhören gezwungen werde, kann man mir doch Musik vorspielen, die nicht von dem tumbsten Hirni, der ein Keyboard bedienen kann, an einem verkaterten Nachmittag zusammengenagelt wurde, um nach vier erbärmlichen Mülltakten wiederholt werden zu müssen.
Aufrichtige Schadenfreude
In meiner Verzweiflung stelle ich mir den Komponistenkollegen
vor, der diese Schreckensmusik verbrochen hat. Dass er sich die Tonstudiomiete bald sparen und einen richtigen Beruf suchen muss, lässt mich aufrichtige Schadenfreude empfinden. Banales Hintergrundgedudel ohne Emotion wird nämlich mittlerweile von einer KI generiert – stundenlang, mit Abwechslungen, dem jeweiligen Kontext angepasst: Entspannung, Einschlafen, Konzentration, Sport, etc. Im Nachbilden natürlicher Dummheit ist künstliche Intelligenz ganz hervorragend – und stärker als das Original.Substanzloses Ohrenfastfood gelingt in der KI-Hexenküche besser als an den Macbooks musikalischer Produktdesigner. Auf diesem Markt stört Musik nur, wenn sie zeigt, was sie drauf hat.
Musik, die dich liebt
Was Musik drauf hat, zeigt uns seit ein paar Jahren der 28-jährige Mozart-Beethoven-Prince-James-Brown Jacob Collier aus London. Es scheint ganz gleichgültig zu sein, welches Instrument er anfasst, er spielt auf handwerklichem und spielerischem Höchstniveau Klavier, Kontrabass, Gitarre, Schlagzeug und was weiß ich noch alles. Und singt, als gäbe es nichts einfacheres auf der Welt.
Ich habe schon vor ein paar Jahren gedacht: das Instrument dieses Genies ist die Musik selbst. Auf Tour lässt er das Publikum singen. Er spielt es wie ein Orchester, er ist der liebende Dirigent, der in Echtzeit komponiert und durch Körpersprache, Mimik und Töne kommuniziert. Dieses Konzertvideo kann ich nicht schauen, ohne nach wenigen Sekunden vor Glück zu weinen.
Es ist gut, gefallen zu wollen
Wer heute komponiert, kann jetzt nach der Musik in sich suchen, die eine Entdeckung wert ist. Sie muss nicht unbedingt auf jeder Ebene „neu“ sein, nur gut. Diejenigen von uns, die sich vor allem auf Wunscherfüllung spezialisiert haben, haben schlechte Karten: mit der KI kannst du nicht konkurrieren, sie ist dort, wo es nur um Dienstleistung geht, einfach besser.
Werden wir jetzt alle egomanische Selbstverwirklicher, denen die Resonanz des Publikums am Arsch vorbei geht? In Pressetexten von Bands aus Jazz und Neue Musik findet sich oft die Floskel, dass die Künstlerinnen „nicht gefallen wollen“ und wie unbestechlich sie das macht.
Meiner Musik tut es sehr gut, wenn ich mir beim Komponieren vorstelle, wie sie gehört wird. Manchmal phantasiere ich sogar sehr persönlich und denke an eine bestimmte Freundin, die ich mit einer Akkordprogression dazu bringen will, dass sie „…oh ja, schön…“ seufzt. Oder ich denke an meinen Freund Jörg, der bei Musik nur lächelt, wenn sie eine leichte, unterschwellige Trivialität hat.
Kunst ist immer auch Liebeskunst.
Kunst, die nicht kommuniziert, bleibt ungehört, ungesehen, unerlebt. Vielleicht hat sie posthum eine Chance – aber wer will das schon erleben!
Der Frauenanteil unter Musikproduzenten liegt weltweit bei 2,1%.
Ich danke Rainer Glaap für den Hinweis zu diesem inspirierendem Artikel!
Natürlich künstlich!
Alle Mitarbeiter sind zur Zeit im Gespräch, bitte warten Sie oder nutzen Sie unseren Online Kundenservice. Wählen Sie die 1 für das 49€ Ticket, leider erreichen uns zur Zeit sehr viele Anfragen und kennen sie schon unsere Homepage, dort finden Sie viele Fragen und keine Antworten. Wählen Sie die 2, wenn Sie jetzt gerne auflegen wollen oder bleiben Sie einfach in der Leitung. Die aktuelle Wartezeit beträgt vorraussichtlich 45 Minuten. Genießen Sie die Musik, wir haben 15 Sekunden in Dauerschleife und Sie können selbige gerne in ihre wildesten Träume der Nichtssagenhaftigkeit einbauen. Oder wählen Sie die 3 wenn Sie jetzt direkt mit der Telephonselsorge verbunden werden möchten. Wenn Sie ihren Strom- Gas- oder Mobilfunk Anbieter wechseln wollen sagen Sie jetzt "Wechsel" oder drücken die 4. Haben Sie einen Antrag bei einer Behörde gestellt oder brauchen Sie einen Arzttermin? Sie erreichen diese Montags und Donnerstags von 9 bis 11 Uhr oder nutzen sie die sehr praktisch unverständlich gestalteten Onlineangebote oder bleiben Sie einfach in der Leitung und drücken Sie jetzt die Rautetaste und hören Sie sich diese Ansage in Ruhe noch ein Mal an. Zu Qualitäts und Überwachungszwecken werden wir Ihr Gespräch aufzeichnen und an die Staatssicherheit sowie Werbetreibende weiterleiten. Wenn Sie das nicht wünschen: LEGEN SIE JETZT ENDLICH AUF UND SCHREIBEN EINE E-MAIL! ANSONSTEN BLEIBEN SIE IN DIESER WARTESCHLEIFE BIS WIR SIE WEGEN ÜBERZIEHUNG DER WARTEZEIT EINFACH RAUSSCHMEISSEN! In dringenden Fällen wenden Sie sich bitte an einen Psychologen (oder in oder divers) - die Wartezeit beträgt momentan 23 Monate oder wählen Sie die Kostenfreie Hotline 112 und erzählen davon, wie schön es wäre, jetzt vom Fernsehturm zu springen. Sie können dann kostenlos bis zu sechs Monate mit Gleichgesinnten medikamentenabhängig werden und erhalten sehr viel Zeit darüber nachzudenken, warum Sie überhaupt hier angerufen haben. Wir wünschen Ihnen einen schönen Tag, bitte versuchen Sie es zu einem späteren Zeitpunkt noch Mal. Auf wiederholen, wiederhören! Vielen Dank für Ihre Lebenszeit, Sie dürfen jetzt ihre Kinder füttern und einen Schnaps trinken!
Du bringst es 100% auf den Punkt — KI schafft die Dienstleistungskunst ab, und das ist gut so!🍀 Dann darf es der persönlichen Kunst um echten Austausch mit dem Publikum gehen, nicht um Film-/Wort-/Ton-gewordenes Dopamin 🎉🙃