Mit Annabella (Name v. d. Red. geändert) sitze ich in der Staatsoper unter den Linden, ganz vorne beim Orchestergraben. Das Licht dimmt, Wagners Tannhäuser-Ouvertüre beginnt mit ihrem glücksverheißenden ORGASMUSKLANG. Ich bin in TRANCE.1
Nach einer Weile erscheint die Venus in Gestalt einer feuerrothaarigen Frau in einer Art Toga. Sie hebt ihre riesige Stimme, ihr ganzer Oberkörper bebt. Die Übertitel zeigen den Text „Geliebter, sag, wo weilt dein Sinn?“ Zu hören bekommen wir allerdings ein sehr lautes „Üü-ü-üü, üü, ü ü üü Ü?“. Annabella macht ein PRIVATES GERÄUSCH, das einem Lachen ähnelt. Ich als Connaisseur der schönen Künste finde das etwas PUBERTÄR. Annabella kommentiert auf diese Weise auch die weiteren Auftritte. Jeder Opernsänger klingt für Annabella so, als würde er einen Opernsänger PARODIEREN. Ich fühle mich in meinem Kunstgenuss behindert, lege meine Hand auf ihren Arm und zische in ihr Ohr: „Hör auf zu lachen!“. Saßen wir zuvor noch zärtlich aneinander gelehnt, mit sich berührenden Knien, rutscht sie jetzt von mir ab und hört mitnichten auf, sich über das Opernhandwerk lustig zu machen. Erlebnislüstern waren wir zuvor, von einem Glas Champagner ANVIBRIERT, aus der gemeinsamen Wohnung in Charlottenburg zur Oper gegangen wie zu einem FEST. Jetzt vibrierte nur noch BITTERKEIT zwischen uns.
In der Pause SCHWEIGEN und LEERES BLICKEN. Wohlstand demonstrierende Pärchen: 80-jährige Alphamänner und chaneltaschige alterslose Ladies auf stelzenhohen Hacken. Wirrhaarige Ideologie-Wagnerianerinnen mit Wahnfried im Blick. Annabella und ich giften uns an. Sie verbittet sich, gemaßregelt zu werden, ich werfe ihr Oberflächlichkeit und Hybris vor. Es ist schrecklich.
In David Schalkos Serie „Ich und die anderen“ spricht Martin Wuttke als melancholischer Egomane den Satz: „Alle Männer mit großem Penis sind im Grunde Wagnerianer.“
Die Nachmittagssonne lacht Annabella und mich aus. Ich fühle mich elend und überlege, ob ich mich im Grunde Wagnerianer nennen darf. Ich bin gleichzeitig fasziniert von der Idee der Überlegenheit als Angehöriger dieses Zirkels und abgestoßen vom neofaschistischen Hautgoût. Es funktioniert eben nicht mit Annabella und mir, verfinstern sich meine Gedanken. Ich sollte heute noch wieder ins HOTEL2 einziehen.
Opern kann man nur im Hotel komponieren. Die Karajan-Suite im Bristol in Wien
Die Wahrheit ist: ich habe mir so sehr gewünscht, dass diese Wagner-Erfahrung ein Jahrhundertabend wird, dass ich sehr bereit war, die unfreiwillige Komik auf der Bühne zu überhören. Annabella hatte Recht mit ihrem Lachen. Der heilige Ernst stand in Großbuchstaben in die Bühnenluft gemeißelt. Das kann nur in Wichtigtuerei kippen – da sollte man für jedes herzhafte Lachen dankbar sein.
Ich bin dann doch nicht wieder ins Hotel gezogen.
Damals, als Schlagersänger. Glamouröse Gesten – aber innendrin: Einsamkeit, Feuilletonkomplex.
Alle lesen gerade „Noch wach? von Benjamin von Stuckrad-Barre. Ich auch! Dass er manche Wörter in GROSSBUCHSTABEN schreibt, bringt immer wieder eine überraschende Lautstärke in den Text, die ich als Rechtschreibsnob ABLEHNE, sie macht allerdings SPASS. Als Schulabbrecher habe ich eine große Sehnsucht, dazuzugehören. ich will LIEBGEHABT WERDEN, die Regeln geben mir Halt. Das sorgt für einen REGELFETISCH; ich habe einen Faible für LITERARISCHES GETUE. Jedes „ph“ nehm ich mit: Ich telephoniere mit dem Photographen. Als Herr verlasse ich nie ohne Einstecktuch das Haus und schreibe nur mit dem Phüllphederhalter. Meine NIVEAUSUCHT ist auch der Grund, warum ich nicht mehr über eine Karriere als SCHLAGERSÄNGER nachdenke. Stattdessen beschäftige ich mich mit der Komposition einer OPER.
Über viele Jahre , war es mein persönlicher Gag, morgens im Brazil , wenn es hell wurde, und schon einige Köpfe auf den Tresen gesunken waren , meine Spezial- Kassette mit berühmten Ouvertüren aufzulegen und diese Tannhäuser Ouvertüre in voller Dröhnung abzuspielen......und alle erschauerten alsbald ob der wagnerischen Boe , die aus den Boxen stürmte.....Hat immer gewirkt : Feierabend !
„Darauf einen Dujardin!“ - Was für ein grandioser Slogan, damals wie heute, der jedes Aufblasen ins Lächerliche kippen lässt.