Liebe, sehr verehrte Sonntagskindler, Leserinnen, Neugierige,
seit Tagen ringe ich mich mit mir und versuche, dem heutigen, historischen Wahlsonntag, eine Idee abzuringen, um Euch mit diesem 178. Sonntagskind adäquat zu unterhalten. Ich fürchte, ich krieg’s heute nicht hin, das Logo meines Geistes ist heute das Fragezeichen.
Fake News, Frust und Facebook-Feldherren
Wie aus ehemaligen Bandkollegen plötzlich geopolitische Hobby-Analysten mit Putin-Sympathien wurden.
Viele Leute lesen offenbar keine Zeitung mehr, faseln was von verlogenen Staatsmedien und bilden ihre politische Meinung auf Social Media. Leute, mit denen ich früher Musik gemacht habe, schreiben auf Facebook Pamphlete, in denen sie deutsche Politiker, die die Ukraine unterstützen, „Kriegstreiber“ nennen. Dabei zeigen sie ganz viel Verständnis für den verzweifelten Menschenmetzger Putin, der aus reiner enttäuschter Liebe die Ukraine angreifen musste.
Lieber vertrauen die von diesen Schwachsinnsposts getriebenen Wahlberechtigten irgendwelchen Clowns, die mit irren Thesen den Schnabel aufreißen als erfahrenen Politikjournalisten in Redaktionen, die seit Jahrzehnten hohen Standards verpflichtet sind, allen voran dem der Aufklärung.
Der Palmer-Trick: Wie man AfD-Wähler umlenkt, ohne sie zu beleidigen
Tübingens Bürgermeister zeigt: Wer die Rechtsradikalen loswerden will, muss ihre Anhänger verstehen.
Aber ich schimpfe nur über die Verlorenen, die im Tümpel ihres radikalen Trotzes nach Nahrung suchen und nur Verwestes finden. Revolutionär anders macht das der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer. Der erklärt AfD-Wählern, dass sie, sofern es ihnen ernst ist mit ihrem Wunsch nach strengeren Grenzen, die CDU wählen müssten. Denn die AfD wird auf dem Störposten bleiben, da sie niemand ans Ruder lässt. Dieses Kunststück, die Logik Andersdenkender zu begreifen, beeindruckt mich, ganz ungeachtet meiner persönlichen Meinung. Gleichzeitig erfindet Palmer einen Politik-Hack, der bei Gelingen die demokratiegefährdenden Aufwiegler schwächen kann.
Ich habe mir auch einen Politik-Hack überlegt:
Mein brillanter Masterplan zur Rettung der Demokratie
Warum wir alle Parteien außer der AfD zusammenwerfen sollten – und ich dann als politisches Genie gelte.
Nach dem TV-Quadrell neulich dachte ich: Eigentlich sind die alle ganz vernünftig. Ausgenommen Alice Weidel, die offensichtlich keine Ahnung hat, wovon sie redet. Warum tun sich die vernünftigen Kräfte also nicht zusammen? Dieses kindische Rumgezicke zwischen links und rechts und grün und liberal ist sowas von vorgestern!
Wenn das klappt, könnt Ihr mich als strategischen Visionär feiern. Wenn nicht, berufe ich mich auf Mephisto: „Ich bin ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft.”
Wie wäre es, man sorgte dafür, dass die AfD in die Regierung kommt – würde sie sich nicht nach kurzer Zeit als handlungsunfähig erweisen? In der Zwischenzeit wären alle anderen aufgewacht. Die guten Leute aus den seriösen Parteien würden zusammenfinden: „Seien wir großzügig mit unseren Unterschieden”, würden sie beschließen. Um die Not der Lage zu wenden, schmiedeten sie ein neues Bündnis, das der veränderten Weltlage Rechnung trägt: „Stärken wir den europäischen Zusammenhalt!” Ob das klappt? Ich habe den Eindruck, das Parteiensystem ist ohnehin erledigt. Wäre es nicht viel besser, man wählte sich die Leute nach ihren Kompetenzen in die Regierung? Der eine kann gut rechnen, eine andere gut verhandeln, eine ist flink mit dem Colt und einer sorgt für Gerechtigkeit. Ein paar Experten hecken das mit dem Markt und dem Sozialen aus, so dass alle satt werden können, ein Team aus superschlauen Hi-Tech-Freaks fasst alle bürokratischen Belange in einer App zusammen und lockt durchgeknallte Wissenschaftler ins Land, die Benzin aus Abfall brauen und Filetsteaks im Labor züchten.
Die Schule bräuchte auch dringend ein Update, sie ist nicht mehr auf dem Stand der Dinge:
Bildung mit Glamour: Warum Wissen endlich sexy werden muss
Die wichtigste Branche der Welt verdient Glanz, Geld und Genialität.
Lehrerinnen sind die wichtigsten Leute, man muss sie hofieren, sie müssen die beste Ausbildung bekommen, sich ständig weiterbilden und mit der Wissenschaft zusammenarbeiten, damit humanistische Bildung kein elitärer Luxus ist.
Links, rechts, oben, unten? Alles Quatsch, Hauptsache schlau!
Die neue politische Leitlinie: Intelligenz statt Ideologie (und warum das für mich leider nichts mehr bringt).
Ich weiß, wovon ich spreche, ich habe das Abitur abgebrochen. Es geht schon längst nicht mehr um links, rechts, oben oder unten, sondern um schlau und dumm. Ist man schlau, kann man sich dummstellen, heißt es. Und auch, dass es andersrum nicht funktioniert.
Deutschland 2030: Utopie oder dystopischer Schrotthaufen?
Wir haben jetzt die Wahl – und keine Ausreden mehr.
Ich werde mich nicht trauen, meinen Hack umzusetzen. Stattdessen werde ich gespannt verfolgen, inwiefern sich meine Wahl auf die wichtigste Legislaturperiode seit Gründung der Bundesrepublik auswirkt. Aber ich bin ganz sicher: In ein paar Jahren steht politisch hier kein Stein mehr auf dem anderen. Wir haben in der Hand, ob aus den Trümmern Paläste entstehen oder wir in Verwüstung leben.
Rettet die Seele, nicht die Umfragewerte!
Warum ein Akkordeon und eine Harfe mehr Orientierung geben als jede Polit-Talkshow.
Statt einer Wahlempfehlung also: Genießen wir das Leben, um zu erfahren, was uns wichtig ist. Wenn der Lärm da draußen unerträglich wird, setze ich meine Noise-Canceling-Kopfhörer auf und höre das Debütalbum vom Duo Oxymoron. Ich verspreche Euch, so etwas habt Ihr noch nicht gehört. Was Anna Maria Steinkogler an ihrer Harfe und Valentin Butt mit dem Akkordeon mit Anna Marias Kompositionen machen, ist einfach nur wunderschön. Es entführt aus der Hektik und macht wach für die innere Stimme. Du hörst und weißt sofort, was wichtig ist. Weil zwei begnadete, liebende Künstler Deine Seele fassen.
Sonntagskind: Unbezahlbar wie politische Integrität, aber trotzdem käuflich: Wer will, kann als Frühstücksliteratur-Lobbyistin Spenden loswerden:
Ich danke sehr, dass ich für Euch schreiben darf – was für eine tolle Erfahrung, diese neue Art der Schreib-Lese-Kommunikation auf dieser Plattform mit Euch zu erkunden! Empfehlungen vergrößern den Kreis der Sonntagskindler. Wer mir eine Freude machen will, schickt diesen Artikel auf die Reise:
Bei Politik, komme ich nicht umhin, mit einem Kommentar zu nerven :-). Zu offensichtlich und damit auch nicht ausreichend tief scheint mir die gezeichnete Utopie. Zu sehr ist sie geeignet den Token linksliberalen in mir zu einem unreflektierten, zustimmenden und wohlfeilen Kopfnicken zu verleiten.
Also dreht sich gerade John Coltrane´s "Impressions" in einer italienischen Impulse Ausgabe auf meinem Plattenteller und bevor ich gleich mein Kreuz bei den LINKEN mache, schreibe ich diese Zeilen.
Die Idee einer gemeinsamen oder Einheits-Regierung klingt spannend ist aber wenn man genau hinsieht näher an China oder Russland als an einer freiheitlichen Demokratie. Als im Politikkontext arbeitender Mensch kann ich Dir sagen, das der Dialog und der Streit mehr als essentiell sind. Was passiert, wenn wir keine Konkurrenz mehr fürchten, ist das Einsetzen von Hybris und das nach vorne stellen der eigenen und vor allem persönlichen Interessen. Vor allem sind wir nicht mehr gut, weil niemand mehr unsere Ideen hinterfragt.
Ich kann Dir sagen, dass ohne Hinterfragen bei Politik nicht viel rauskommt. Politik reicht ja oft das Postulat oder das Bekenntnis, was erstaunlicherweise auch vielen Wähler*innen zu reichen scheint. Dabei ist der Beschluss nichts wert, wenn man sich keine Gedanken über die Umsetzung macht. Der oft vermutete natürliche Zusammenhang ist nicht zwangsläufig, denn Betrachtungen der Realität können Politiker*innen durchaus manchmal verwirren und werden daher hier udn da auch vermieden.
Es gibt durchaus einige sehr intelligente Exemplare bei uns aber das gilt bei weitem nicht für jeden und jede, die Einfluss auf Entscheidungen nehmen. Außerdem sind die richtig intelligenten ja oft auch in anderen Bereichen unterwegs, wo sie mehr Geld verdienen können und die richtig Guten oft als Sozialarbeiter:innen oder in NGOs aktiv :-).
Menschen gehen in die Politik, weil sie entweder was verändern wollen, Lust auf Macht haben oder auch einfach nur ein gutes Gehalt und eine gute Versorgung haben wollen. Im Laufe der Zeit und mit zunehmender Macht gewinnt die persönliche Situation immer mehr Überhand und es geht verstärkt darum, Positionen und Macht zu erhalten. Das Regulativ das man dabei hat sind Wahlen, Medien, Debatte in der Koalition und die Opposition.
Die bittere Erkenntnis ist die, dass ja nicht nur gute Menschen in die Politik gehen, sondern oft auch eine gehörige Portion Narzissmus im Spiel ist. Politik ist ein eigener Kosmos, der eigene Regeln hat und der nur in Teilen Überschneidungen zur Welt der Bürger*innen hat. Das Ganze funktioniert nur im offenen Streit, auch wenn ich mir wünschen würde, dass Sachargumente und Fakten mehr Bedeutung hätten als Fraktionszwang und Ideologie.
Die Beschränkung, dass Wahrheit nur von den etablierten Parteien kommt und die Qualitätsmedien sachgerecht neutral analysieren ist auch eher Illusion als Fakt. Deswegen lass uns gerne den einen oder anderen Schwachsinn auf YouTube aushalten. Auch der hilft bei der Debatte und sei es, dass er Scharlatane entlarvt. Die Medien tun sich durch wirtschaftlichen Druck und damit sinkenden Ressourcen oft schwer bei er tiefen Recherche. Leider merken wir auch im ÖRR hier und da Lücken in der Recherche. Auch hier kann ab und zu die Äußerung eines Fachmannes oder einer Fachfrau auf YouTube oder in sozialen Medien die Debatte durchaus befruchten.
Soweit also meine sonntägliche Desillusionierung. Wahrscheinlich unnötig, da Dein Text wahrscheinlich eher Glosse als ernstzunehmende Utopie ist. Aber wir wollen ja auch am Wahlsonntag nicht uns selbst bestätigen, sondern uns herausfordern. Alles andere wäre Stillstand in Selbstzufriedenheit. Und nichts ist schlimmer als wenn man fest davon überzeugt ist, das Richtige zu tun. Man ist sich dabei meist gewaltig :-)
so geht Politik...----