Ich schreibe selbstverständlich mit Füllfederhalter. Schließlich trage ich auch Manschettenknöpfe und bringe in die Kantine mein privates Silberbesteck und eine aufgerollte Tischdecke mit. Wenn ich mal in einer Kantine essen muss.1 Der Füller meiner Wahl ist ein historisches Modell, der Kaweco Sport von 1911.
Seit man ihn bei Manufactum kaufen kann, ist er berühmt. Er kostet nicht die Welt, schenkt einem aber das Montblanc-Gefühl, bei entsprechender Haltung. King Charles hat einen Montblanc.2 Der Kaweco Sport ist der Montblanc für Arme. Oder, in meinem Fall, für Liegenlasser. Ich muss jedes Jahr etwa sieben- bis zwölfmal einen neuen Kaweco kaufen, weil ich immer irgendwo einen verbasel. Ist man in Basel, ist der Montblanc nicht so weit wie in Berlin, das Wort verbaseln kommt aber aus dem Niederdeutschen „basen“ und bedeutet soviel wie „dumm rumlabern.“
Eigentlich wollte ich eine Kolumne über Smalltalk schreiben, aber Smalltalk erscheint mir heute unangemessen. Wir leben in Zeiten, die großer Gefühle bedürfen, um große Gedanken hervorzubringen. Die planetare Krise3 ist allgegenwärtig, die Demokratie ist in Gefahr, es gibt noch nicht einmal mehr Telephonzellen. Und niemand sonst will diese noch mit „ph“ schreiben, noch nicht mal mit einem Kaweco Sport von 1911.
In jenem Jahr kam Gustav Mahlers neunte Symphonie zur Uraufführung, kurz nach seinem Tod. Aus Angst, dass seine Neunte seine Letzte sein würde, wie bei Beethoven und Bruckner, ließ Gustav Mahler die Nummerierung weg. Er nannte seine Neunte einfach einen „symphonischen Liederzyklus” und begann dann die Zehnte. Sie wurde nicht fertig, es hat alles nichts genützt, Mahler starb. Große Gefühle gibt es bei Mahler im Überfluss, Mahlers Musik ist das Gegenteil von Smalltalk.
Smalltalk ist gefährlich. Einfach etwas floskelhaftes vor sich hinbrabbeln kann eine Verteidigungsministerin den Job kosten, überhaupt haben kleine Worte oft großes Gewicht. In der Elite-Universität Stanford regelt jetzt eine 13-seitige Anleitung zur Beseitigung verletzender Sprache den verbalen Umgang. Der unter Wissenschaftlern beliebte Begriff „blind study” heißt jetzt „masked study”, weil die Blindstudie Behinderte herabsetzen könnte. Außerdem wird in Stanford nichts mehr gemeistert, weil das Verb „to master” an weiße Herrenmenschen zur Zeit der Sklaverei erinnert. Mich erinnert diese linguistische Haarspalterei4 an das Märchen „Prinzessin auf der Erbse”. Da gibt es den Prinzessinnentest: unter 20 Matratzen und Daunendecken liegt eine Erbse. Berichtet die Testperson am Morgen über mangelnden Schlaf, weil sie auf etwas Hartem gelegen habe, ist sie eine Prinzessin. Ich wage eine These:
Manche gegenwärtige Empfindlichkeit beim Sprachgebrauch entspringt dem Wunsch, zum Hochadel zu gehören. In manchen Fällen handelt es sich um Prinzessinnensucht. Es ist purer Adelneid.5
Eigentlich sollte dies ja nur eine Kolumne über Smalltalk werden, aber ich habe sie wohl verbaselt.
Unterstützen Sie gern meine Arbeit mit einem Like. So ein Herzchen ist zwar digitaler Smalltalk, aber schafft Sichtbarkeit. Für deeperen Talk ist in den Kommentaren Platz. Danke fürs Lesen!
siehe diese Kolumne:
Könige stolpern über Kieselsteine, nicht über Berge, heißt es. Wie King Charles und sein Gefolge in diesem Video angesichts eines leckenden Füllers beinah die Contenance verlieren, ist höchst amüsant.
Ich lese hierzu gerade ein spannendes Buch: Thomas Metzinger, „Bewusstseinskultur”, Berlin-Verlag
In Holland nennt man Haarspalterei Betreibende „Mirennoeker”, was wörtlich übersetzt „Ameisenficker” bedeutet. In Holland werden in der Umgangssprache Tiere erniedrigt.
Sollte ich mit dieser Kolumne jemals Geld verdienen, kaufe ich mir einen Montblanc-Füller, genau wie King Charles.
Nachtrag:
Auf meiner Facebookseite wurde diese Kolumne sehr genau untersucht. Nathalie F. und Gerit G. sind sich in ihrer Kritik einig und sorgen mit ihren Kommentaren für spannendes Begleitmaterial:
Nathalie F. : „Ich finde diesen „Kolumne“ leider sehr unreflektiert und unangenehm. Wie kann man sich 2023 als superpriviligierter weißer Mann dazu erheben, den Prozess der Suche nach diskriminierungssensibler Sprache lächerlich zu machen? Vor allem diejenigen, die nicht von struktureller Diskriminierung betroffen sind, sollten ihre Privilegien nutzen anstatt Angst zu haben, ihnen würde etwas weggenommen, wenn Veränderungsprozesse in Gang kommen. Das wirft leider absolut kein gutes Licht auf Sie, Herr Scheibe.“
Gerit G. ergänzt: „leider muss ich dir da zustimmen.
Es geht ja auch nicht nur um diskriminierungsfreie Sprache. Es ist einfach auch zutreffender, von einer verdeckten Studie zu sprechen, weil Menschen, unabhängig von ihrem Sehvermögen, eben etwas verdecken müssen, um Wahrnehmungsverzerrungen zu reduzieren, die zu Fehlurteilen führen können.
Es ist also kein Problem, das Kind beim Namen zu nennen (und warum soll men "blind" sagen, wenn alle eigentlich auf alles ganz genau achten sollen?)
Das Wort "miereneuker" setzt meines Erachtens auch keine Ameisen herab, sondern amüsiert sich über eine unterstellte Detailverliebtheit, die es ermöglichen würde, sich auf ein Techtelmechtel mit einer Ameise einzulassen, (weil men deren Paarungsgebaren genau studiert hat, und ganz genau weiß, welche Ameisenkönigin sich wann in welche Richtung in die Lüfte erhebt, sodass men, mit einer Pinzette vielleicht, die Befruchtung vornehmen könnte, selbst wenn men gar keine Ameise ist) wobei es sich wahrscheinlich eben nur um eine theoretische Möglichkeit handelt, die bei allem Fachwissen eben nicht zu einem echten Techtelmechtel führen würde. Lächerlich ist hier der Mensch, der sich so gibt. Die Ameise guckt allenfalls erstaunt, insofern das mit Facettenaugen möglich ist, wenn sie das je hören sollte. Wahrscheinlich aber ist ihr das einfach nur egal, Läusemelken ist ihr wichtiger.
Ich persönlich finde die Wörter "beherrschen" oder "meistern" auch eher zweifelhaft, erinnern sie doch tatsächlich an das, was bis heute in fast allen Bereichen passiert: Männer, die sich als Herr und/oder Meister anreden lassen, und andere, die es ihnen gleichtun wollen, erwarten Gehorsam ohne Wenn und Aber.
Es ist also ein schräges Bild, wenn man ausdrücken möchte, dass jemend eine Tätigkeit ohne nennenswerte Fehler ausführen, oder Wissen abrufen kann. Irgendwie deutet es eine Vollkommenheit an, die allerdings nie jemals irgendwo gegeben ist oder war. In der Regel bewältigen wir alle gerade mal unser Teil, den Rest machen andere, die auch was können.
Am besten zieht men also keine Sprachvergleiche, ohne das Bild genau zu betrachten. Humor darf zwar alles, verzeiht aber nichts!“
Nathalie F. antwortet:
„Da hast du dir aber viel Mühe gemacht! (Smiley) Ich stimme zu. Und würde ergänzen, dass selbst w e n n das Bild Ameisen herabsetzen w ü r d e es einen großen Unterschied macht, ob es um Menschen(-Gruppen) geht, die insgesamt massiv unter gesellschaftlichen strukturellen Diskriminierungen leiden, oder um eine Ameise. Dieser augenzwinkernde Fußnoten-Gag ist ein bisschen geschmacklos.(Und anscheinend, wie du ausführst, auch noch sachlich inkorrekt)“
In den USA ist geplant, bei den Marines das „Yes, sir!“ abzuschaffen … Herrje 😂 hoffentlich sind dann nicht sämtliche Filme verboten in denen es noch vorkommt 🙈
Wenn bereits der Titel genial ist <3 ... bevor man die Wucht des Beitrags aufgenommen hat. Chapeau avec chapeau claque sans claqeurism!