Poesie-Rituale und Psychorandale
Liebe Leute, unter uns: Dass meine Kolumne ein fester Bestandteil Eurer Sonntagskaffee-Routinen geworden ist, macht mich glücklich. Was für eine Ehre! Als ich vor vier Jahren damit anfing, war Schreiben mein Sicherheitsnetz – ich tanzte auf dem wackeligen Seil meines polyamoren Zirkuslebens, jonglierte mit zu vielen Bällen und hörte nachts die Löwen fauchen, mit Panikattacken im Nacken. Aber nun: Vorhang auf zum 203. Sonntagskind!
Pain to Pleasure: Der Autor als Alchemist
Mein Ausweg: Den Horror so zu beschreiben, dass er sich so liest, wie sich eine Geisterbahnfahrt anfühlt – gruselig, aber amüsant. Aus chaotischem Schmerz literarischen Slapstick zu machen, hat mir geholfen – und Euch offenbar erfreut. Denn wenn man Schweres leicht macht, entsteht Kunst. Macht man Leichtes schwer, wird es Kitsch.
Zuhause in der Twilight-Zone
Damals lebte ich ein Jahr lang im Hotel und später in zwei Wohnungen mit zwei Freundinnen in zwei Städten. Am Zuhausesten fühlte ich mich in der Bahn, auf der dreistündigen Reise zwischen Berlin und Bremen.
Es war schon crazy: Ich hatte in meinem Leben noch nie so viel Geld für Miete ausgegeben, trotzdem konnte ich nirgendwo die Tür hinter mir schließen und aufatmen1. Irgendwann habe ich eingesehen, dass meine Therapeutin recht hatte, als sie mir einen Vogel zeigte: Mein seelisches Rückgrat war dabei, sich in ein Fragezeichen zu verwandeln. Zwar fand ich immer wieder Freude und Geborgenheit in variablen Wänden und Betten, sicheren Halt aber erschrieb ich mir in diesen wöchentlichen Zeilen – im Wissen, dass Ihr lest, lacht, mitgeht.
Die Kolumne als Kopfkino
Manchmal stelle ich mir vor, diese Zeilen nicht zu schreiben, sondern auf der Bühne zu singen, zu schnulzen, zu rufen – und Ihr seid mal Publikum, mal Gospelchor. So wird Schreiben zu einer multimedialen Psycho-Experience! (Es kann nicht lange dauern, da wird man so eine innere Vorstellung mit dem Brain-to-Movie-Interface ganz einfach als Film ausspielen können.)
Gebrochener Willen durch fallende Hüllen
Deswegen ist meine Kolumne nicht nur ein Feuilletonstück im großen Substack-Journal, sondern auch ein Seelenstrip. Strip kann Kunst sein: Das habe ich 1999 gelernt, bei einem Konzert mit meiner „Kleinen Schmutzigen Band“. Wir hatten uns mit durchgeknalltem Satirejazz verausgabt, standen schon nach der letzten Zugabe an der Bar, als eine Dame, frisch 30 geworden, uns flehentlich um einen letzten Song bat. Wir bedankten uns für ihre Leidenschaft und erklärten, dass es Unglück bringt, wenn man nach dem Ende des Konzerts noch mal auf die Bühne geht. So etwas, da waren wir sicher, machen nur besoffene Amateurmusiker, die glauben, dass sie nach vier Hefe-Weizen wie durch ein Wunder auf einmal richtig gut spielen. Sie ließ nicht locker, machte uns deutlich, dass es ihr wirklich sehr wichtig wäre und zog ein glitzerndes As aus dem Ärmel: „Wenn Ihr noch einen Song spielt, ziehe ich mich dazu auf der Bühne aus!“ Es ist mir ein bisschen peinlich, aber meine drei männlichen Kollegen und ich waren eine Sekunde später auf der Bühne. Die Jubilarin, von ihrer eigenen Courage und Wirkung sichtlich verblüfft, allerdings auch.
Blues & Ausziehen: works every time
Sie hielt Wort. Bewegte sich zu unserem Blues, legte Schicht für Schicht ab, verbeugte sich in ihrer ganzen mutigen Nacktheit, und kleidete sich wieder an – wir hatten besser gespielt als je zuvor – und besser als jemals wieder. Keine Note war zu viel, jede Ton diente dem Moment.
Vorhang auf
Ich schreibe nicht, um mich zu entblößen. Aber, um den Vorhang zu öffnen.
Und was dahinter passiert, entscheidest Du.
Ich wünsche einen herrlichen Sonntag
Dein
Wofür würdest Du Dich ausziehen?
Nach 203 wöchentlichen Kolumnen schaue ich zurück: Ich schrieb über Berliner Plätze, Pornogagen, Drogenexzesse, den Manufactumkatalog, Apothekenschränke und imaginierte ein Schlagerduett zwischen Christian Lindner und Sahra Wagenknecht. Liebesbriefe, halbleere Särge, mein Hausboot und der Wienerwald dienten mir als Inspiration.
Jetzt bin ich übermütig – Ich bilde mir ein, ich kann über ALLES schreiben. Prove me! Schreib mir Deinen Themenwunsch:
KI wird mich bald arbeitslos machen, das ist ganz klar. Ob ich es noch schaffe, rechtzeitig eine Klempner- oder Dachdeckerausbildung anzugehen, weiß ich nicht, noch hab ich so viel zu tun. Solange Arbeit wie diese noch einen Wert hat, steck mir gerne einen Schein zu:
Apropos Strip: Ich spazierte durch die Bremer Innenstadt, traf zufällig Turna in ihrer Brow Bar, wir kamen ins Gespräch. Sie sagte: „Die Augenbrauen müssen aber mal wieder aufgeräumt werden. Setz Dich!” Nachdem die studierte Maskenbildnerin mir vertrauenserweckende Kühlungspads unter die Augen geklebt hat, entfernte sie mit heißen Wachsstreifen unangemessen wucherndes Gesichtshaar und schwärzte die Augenbrauen nach, sodass sie wieder ein kontrastgebendes Element im Gesicht wurden. Ich empfehle diese wohltuende kosmetische Behandlung – hier kannst Du bei Turna einen Termin buchen. In der BENEFIT COSMETICS BROWBAR, Obernstr. 5-33, 29195 Bremen.
Beweisphotos:
Währenddessen
Nachher
Eine Sonntagskindkolumne aus der Zeit der Panikattacken ist diese hier:
PANIK IM PYJAMA (Repost)
„Die Gleichgültigkeit wächst an mir hoch wie Efeu. Das ist auch gut so, denn nur gewöhnliche Leute ärgern sich.“ Diesen glänzenden Satz aus einem Interview mit Karl Lagerfeld hat der Journalist Sven Michaelsen hervorprovoziert. Das Fieseste und Berührendste aus Gesprächen mit Menschen, die in der „Gala“ zuhause sind und im Feuilleton leben, steht in sei…
Zum nächsten Kaffee empfehle ich dann diese Kolumne zum Thema Wohnen und Multiples Lieben:
Aufatmen: In einem neurowissenschaftlichen Seminar lernte ich die Schnüff-Schnüff-Ah-Methode kennen: Zweimal kurz durch die Nase einatmen, kurz halten, dann erleichtert und geräuschvoll durch den Mund ausatmen, von entsprechendem Geräusch begleitet. Es hilft! Mit Dank an Lindsay Lewis und Rabih Lahoud
Mal wieder genial. Wie habe ich dein Sonntagskind solange nichts davon gewusst. Doch jetzt bin ich dabei und genieße es und lächle in mich rein- manchmal auch laut. Danke.
Werter Herr Scheibe, so halfen Sie mir den Schrecken des Telefonterrors zu verwandeln. Sie sagten ....da musst Du Kunst daraus machen. Jeder Anruf wurde daraufhin eine Inspirationsquelle und eine anregende, aufregende Ausstellung führte dazu , das Bremen den ersten Stalkingbeauftragten bekam .Die wunderbare CD ,die Ethan Freeman, Monika Dehnert und Du dazu gemacht haben, hat leider nie den erwünschten Erfolg gehabt.