Verehrte Sonntagskindler, liebe Leserinnen, Geneigte,
es gibt Momente, da blättert selbst der Himmel ratlos durch seine Adresskartei. Gott hat gerade keinen Stellvertreter. Der Weg nach ganz oben ist also frei – und ohne Zwischenhändler passierbar, ohne Gebühren. Sonst ist das Paradies ja dafür bekannt, eine Türpolitik zu pflegen, die fast so hart ist wie die vom Berghain. Gerade aber braucht niemand zu fürchten, nach lebenslangem Schlangestehen vom Türsteher des „Holy Heaven” mit einem lakonischen „Heute nicht”, zurückgeschickt zu werden – und stattdessen mit den anderen Versagern in der Loser-Disko „Fegefeuer” abhängen zu müssen. Kein nerviges Glaubensbekenntnis nötig, ganz ohne Schuldkult ab ins ewige Glück.

Auch die Ewigkeit findet keine Azubis mehr
Früher warteten Legionen von Kardinälen darauf, rasch den goldenen Stab zu ergreifen. Aber heute? Wie dünn die Personaldecke mittlerweile geworden ist! Es fehlt nicht nur an Postzustellern, Ärztinnen und Servicepersonal, auch heilige Gestalten machen sich rar.
Heiligenschein 2.0: Jetzt in orange?
Seit einiger Zeit ist ein Trend zu beobachten: Besonders herausragende Figuren der Weltöffentlichkeit haben deutsche Wurzeln. Der Führungsexperte und Handelsmagier, der dieser Tage die Welt mit seinen durchgeknallten Wirtschaftstricks in Staunen versetzt, ist fast ein Pfälzer. Und ist Trumps Haartracht nicht eigentlich die genialische Übersetzung des Heiligenscheins auf frisureller Ebene? War schon jemals jemand Präsident und Papst zugleich? Auch der Phantast an der Seite des Businessgenies baut seine irren Ideen auf Vorfahren made in Germany. Er zeigt seine Verbundenheit zum Land der Dichter und Denker manchmal sogar mit einer weltberühmten historischen Regionalgeste:
Werden wir also wieder Papst, wie damals die Bild-Zeitung titelte, als ob unsere Truppen im Vatikan einmarschiert wären?
Germany’s Next Top-Pontifex: Staffelstart am Pfingstsonntag
Ob die Chefetage von Pro7 schon rotiert? GNTP, Germany’s Next Top-Pontifex, 1. Staffel am Pfingstsonntag. Auch Plus-Size-Päpste sind erstmals willkommen, der Titelsong kommt natürlich von Madonna!
Oder lesen wir demnächst im Profil von IHM auf LinkedIn:
„Suche neue irdische Vertretung / erfahrenen Aufseher (m/w/d), gut im Vergeben und Vergessen. Skills: Leute beruhigen, Kriege schönreden, Wunder improvisieren. Benefits: Ruhm, Ehre, rote Schuhe, Top-Designer-Outfits, ewiges Leben, chronische Heiligkeit, Unfehlbarkeit.”
Praktische Eignungsprüfung: Nachweis biblischer Magiestandards durch Demonstration klassischer Wunderqualifikation. Testkanon: Wasser in Wein verwandeln, WLAN am Wannsee funktionieren lassen, plötzliche Parkplatzerscheinungen in Innenstädten. Außerdem geprüft werden dialektische Argumentationstricks, mit denen sich Vorwürfe sexueller Gewalt lateinisch wegmurmeln lassen.
Wo auch immer der 267. Papst herkommt: Natürlich wäre es ein Fehler, zu glauben, der Chefposten im Vatikan sei eine reine Repräsentationsaufgabe – er ist eine „verfluchte Schufterei” (ein Präfekt im anonymen Interview zur Work-Life-Balance in der holy scene): Länder weihen, die Welt segnen, Abtreibung verurteilen, sonntags Menschenberühren auf dem Petersplatz.
Der Himmel könnte tanzen – aber er setzt sich wieder
Dass es nach dem Tod von Papst Franziskus nun erst einmal heißt: Sedisvakanz – also, der Stuhl ist leer, gibt uns allen einen Moment der Freiheit. Niemand erklärt uns, was Gottes Wille ist. Niemand prüft in römischem Samt unsere Sündenbilanzen. Der Stellvertreterposten ist vakant – lieber Gott, falls Du das liest: Genieß es.
Doch die Kirche wird wohl wieder auf Nummer Sicher gehen. Ein Mann, alt, weltentrückt. Vielleicht wird er ein bisschen progressiver tun, sich auf Instagram anmelden und ein Selfie posten, wie er vorm Papamobil flext. (Ein bisschen wie ein Gangstarapper vorm AMG-Benz, nur ohne Bitches.) Aber im Grunde bleibt alles, wie es ist.
Der innere Papst
Dabei könnte der leere Stuhl ein Thron der Hoffnung sein: Ein Platz, den wir im Geiste selbst einnehmen, um uns zu fragen, ob wir für unser kollektives Über-Ich überhaupt einen Stellvertreter brauchen.
Vielleicht müssen wir nicht warten, bis wieder einer in Goldbrokat durch die Welt winkt und uns in seidenen Roben Moral definiert. Seien wir selbst die Stellvertreter des Göttlichen. Werden wir die besten Menschen, die wir sein können. Mit einer freundlichen Bemerkung im Aufzug, einem Lächeln über die eigene Unvollkommenheit. Mit Verzeihen, wo es schwerfällt.
Der zwanghafte Sinnsucher und Optimist in mir denkt: Wenn Gott also gerade keine menschliche Stimme hat, schweigt der Himmel vielleicht nur, damit wir uns selbst hören.
Einen inspirierten Sonntag wünscht Euch
Euer Mark
Danke fürs Lesen des 187. Sonntagskind, verehrte an das Gute Glaubende. Frei wie das Funkeln im Blick der Liebenden, unbezahlbar wie das Gefühl des Einsseins mit der Natur im Angesicht des Meeressturms, zuverlässig wie der Segen des Papstes – so soll Sonntagskind sein, für immer. Dass mir hin und wieder jemand bei aller Unbezahlbarkeit trotzdem einen Schein über PayPal zusteckt, soll diese brillant ausgecheckte Markenphilosophie, die ich mir vom kirchlichen Ablasshandel abgeschaut habe, nicht irritieren!
PS: Ab Juli schreibe ich regelmäßig für ein Bremer Stadtmagazin eine Kolumne. Für diese Pubikation suche ich noch einen Titel. Mir schwebt vor, den Namen der legendären Bremer Kirmes zu verwenden, dem Freimarkt. Ein paar Titelideen schwirren durch die Gedanken. Darf ich Euch fragen, was Ihr von ihnen haltet?
Oder habt Ihr eine andere Idee?
Und noch was: Hier auf Substack finde ich immer wieder tolle Texte. Ich suche sie mit dem etwas snobistischen Blick, der selbst in Krisenzeiten die Titelseiten der Tageszeitungen überspringt und sofort das Feuilleton aufschlägt. Denn da schreiben die sprachlichen Amazonen, die literarischen Abenteurer, die satirisch geschulten Wortmeister und die psychologischen Tieftaucherinnen.
Eine Suchfunktion für Texte auf deutsch gibt es nicht, das Meiste ist noch englischsprachig, daher ist es ein kleines Kunststück, hier fündig zu werden. Nun meine Idee: Ich setze einen weiteren Newsletter auf, in dem ich jeden Tag (außer Sonntag natürlich) einen richtig guten Text vorstelle, mit einer kurzweiligen Anmoderation im Sonntagskindstil. Wäre das zuviel des Guten oder würdet Ihr das lesen wollen?
Und wie nennen wir das Ding?
PPS: Am vergangenen Mittwoch ging der III. Salon der neuen Zeit über die Bühne. Die bewegende Begegnung mit der Animationsfilmkünstlerin Rebecca Blöcher bestimmte den Abend. Am Ende fand das Publikum in einzigartiger Schwarmkreativität zusammen, um mit mir einen Song zu komponieren. Dazu kommt ein Video im nächsten Sonntagskind.
Ob man seinen moralischen Kompass mithilfe kirchlicher Regeln oder auf eigene Weise organisiert – wie führt man ein anständiges Leben? Vielleicht ist dieser Text eine kleine Inspiration:
Menschen müssen feiern
Letzte Woche spielte ich mit meiner Band im A-Trane, Berlins schönem Jazzclub. Bei der Probe hatte ich das Gefühl, es wäre die falsche Zeit für mein Konzert: es kam mir plötzlich unangemessen vor, die folgende Textzeile zu singen: „Genießen ist meine Religion. Unterm Weihwasserfall ist heut Sündenfallball. Die Realität – wen interessiert die schon.“
Lieber Mark, wie immer köstlich ( und so viel wahres- ja, es wäre schön, wenn dem so wäre : … der Himmel schweigt, damit wir uns selbst hören) - so kreativ kann kein Chat Gpt sein- die Titel für Deine Kolumne sind allesamt super. PR technisch würde ich mich für erstes oder Letztes entscheiden. 👌
Danke Mark, Du schreibst mir aus dem Herzen.