Liebe sehr verehrte Leserinnen, Frühstücksliteraturconnaisseure und neue Sonntagskindler,
diese Ausgabe ist multimedial. Ich habe in allen möglichen Lebensphasen immer Songs veröffentlicht, sie sind eine Art klingendes Tagebuch. Heute illustrieren sie meine Gedanken zu dieser irren Zeit, die mir manchmal so vorkommt, als ob jemand gehörig am Fußboden wackelt, um unsere Standfestigkeit zu prüfen. Viel Spaß mit der 142. Ausgabe des Sonntagskind – und ein paar meiner Songs, die allesamt die Lebensfreude im Sinn tragen.
Früher habe ich gern Lieder gesungen, die polarisierten und gerne auch ein bisschen Ärger machten. Ein in dieser Hinsicht erfolgreicher Song war der „Unterschichten-Bossanova“, in dem ich eine bildungsferne Horrorfamilie karikiert habe.
Auf eine von französischer Eleganz gestreichelten Champagnermelodie sang ich:
„Justin ist zweieinhalb und hat Übergewicht.
Seiner Mutter ist das egal und Justin weiß es noch nicht.
Justins Schwester Nadine, zwölf Jahre, zur Zeit im Methadonprogramm,
ist mal wieder schwanger, was ja auch passieren kann.
Der Vater wusste zunächst nicht, wie er reagieren solle.
Bis Nadine ihm sagte, dass das Kind wahrscheinlich von ihm war,
und sie es haben wolle.“
So nimmt das Drama seinen Lauf, bevor es heißt: „Das ist der Unterschichten-Bossanova auf dem noch nicht bezahlten Versandhaussofa.“ Ich habe die Prekariatsdystopie absichtlich im tropisch inspirierten Easy-Listening-Sound komponiert. Der Berliner Radiosender „Fritz“ bekam dafür vorwurfsvolle Hörerbriefe. Zum Glück gab es keine Kulturpolizei, die das verbieten konnte.
Bei der Erstaufführung im Schlachthof in Bremen mit Mitgliedern der Deutschen Kammerphilharmonie 2008 hieß Justin noch Justus. Schön, wie am Ende alle mitsingen.
Auch zu einem Reizthema wurde die Ballade „Du bist so schön, wenn ich besoffen bin“. Darin ging es um eine Beziehung, die nur im Schatten der Nacht stattfand, und die tagsüber, nüchtern betrachtet, keine Chance hatte – ein autofiktionaler Song aus meiner Zeit der langen Nächte. Ein Veranstalter bekam deswegen Wutpost: er sollte einem niveaulosen Schnulzensänger wie mir mit seinen menschenverachtenden Gehässigkeiten keine Bühne bieten. Das hat ihn nicht davon abgehalten, mich wieder einzuladen.
Für mein Lied „Soz.-Päd.-Ute“ bakam ich von der Taz eine journalistische Ohrfeige verpasst. Mit der total überspitzten Parodie einer politisch überkorrekten Dauerstudentin, die im Mauerpark Bongos spielt, um die Afrikanerin1 in sich zu finden, machte ich mich in den Augen der Zeitung zu einem „antifeministischen Deppen“. Ich danke hiermit der tazlesenden Allgemeinheit, dass sie trotz dieser Schmähung von Drohbriefen abgesehen hat.
Ich spielte auf Konzerten auch ein ganz perverses Arrangement des verbotenen „Horst-Wessel-Lieds“. Wer es nicht kennt: auf eine Melodie aus dem 19. Jahrhundert schrieb ein mit überschaubaren poetischen Fähigkeiten ausgestatteter Nationalsozialist einen blutschwülstigen Kampftext. Damit machte er das Lied zur Parteihymne der NSDAP. So geht das Original:
Folgerichtigerweise ist dieses Lied seit 1945 verboten, genauso wie das Tragen von Hakenkreuzen. Das reizte mich. Ich entführte den Song vom strammen Marsch in einen soften Karibiksound und sang ihn im Duett mit einer französischen Sängerin mit starkem Akzent. Ich bin froh, dass man so etwas hier machen kann. Als wir das Lied aufnahmen, gab es noch keine selbsternannte Alternative für Deutschland.
Ich liebe, wie es nach der dritten Strophe einen Halbton höher geht und das Donauklavier und die Flamencogitarre den schlagerseligen Lalala-Chor umschmeicheln.
Sonntagskind ist genauso zuverlässig wie Christkind, nur häufiger: jeden Sonntagmorgen kommt die neue Ausgabe per Mail.
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Gestern war ich auf einer Lesung von Peter Prange. In seinem Roman „Eine Familie in Deutschland”2 erzählt der Historiker-Schriftsteller, wie der ideologische Virus von der höherwertigen Rasse Hirne weich machte und Herzen kalt. Ob es so ist, dass Leute immer dann auf harte Regeln abfahren, wenn sie besonders frei sind?
Wer auf Ordnung und klare Ansagen steht, findet gerade links und rechts eine Menge leichtverdauliches Gesinnungsfutter, und der politische Islam hat da auch eine Menge zu bieten. Wer seine innere Stimme nicht hört, lässt sich gern von anderen erzählen, wo es langgeht. Ob das in Zukunft Sahra Wagenknecht, Alice Weidel oder der Kalif von Berlin sein werden? Oder setzt sich ein pragmatischer Lebensstil durch, in dem wir uns alle gegenseitig in Ruhe leben lassen?
Wirre Wichtigtuer, belehrende Besserwisserinnen, nölende Nörgler, keifende Clowns, hassende Heulsusen, manische Machtphantasten: wir halten sie aus – aber wir lassen sie nicht ans Ruder. Oder?
Kennt jemand zu strenge Sittenregler? Gnadenlose Gesellschaftsverachter? Durchgeknallte Demokratiediebe? Sie MÜSSEN dieses Sonntagskind lesen:
Lest bitte unbedingt die folgende Kolumne über Peter Pranges genialen Zweiteiler:
Schlau wie ich bin, weiß ich, dass Bongos nicht aus Afrika kommen. Aber Soz.-Päd.-Ute ist das egal.
Siehe dieses Sonntagskind:
Ja, tun wir aber wir müssen aktiv daran arbeiten. Mein Sohn ist mit 17 mal für 1 Jahr Moslem gewesen. Begründung: Klare Regeln, man kriegt gesagt wer gut und böse ist und die Frauen machen was die Männer wollen. Habe ich ausgehalten inkl. Ramadan zu Hause.
Aber wenn ich mir die Student:innen anschaue mit ihrer einseitigen und von wenig historischem Wissen durchdrungenen Petspektive, dann zeigt sich ein Bedürfnis nach klarer Kante offensichtlich gerade in dieser komplexen Welt. Leider verbindet es sich auch noch mit genau der Ausgrenzung, die sonst angeprangert wird. Offener Antisemitismus einer jungen linken Generation-ich hätte das noch vor wenigen Jahren für unmöglich gehalten.
Wenn dann noch Queere und non-binäre die Hamas loben oder zum Islam konvertieren. dann wird es absurd. Müssten sie doch wissen, dass sie selbst die Antithese zu den Menschen darstellen, die sie da feiern. Da fällt einem unweigerlich das Bild der Lemminge ein.
Die Kommunalwahlen in England zeigen, dass der Einfluss steigt und damit all dass, worauf wir in der westlichen Welt stolz sind und das vielen immer noch nicht ausreicht auf fragilem Boden steht, der tatsächlich wackelt. Deshalb dürfen wir diese Debatte nicht rechten Menschenfängern überlassen, sondern müssen das Thema von Links der Mitte adressieren. Ohne Scheuklappen und im Bewusstsein, dass es uns hier und da in Frage stellen wird und es eben keine einfachen Lösungen gibt.